Die Mitarbeiterbindung ist das relevanteste Handlungsfeld für HR. Sie spart nicht nur Kosten ein, sondern wirkt sich gleichzeitig auf den Erfolg des Unternehmens aus. Doch welche Maßnahmen werden benötigt, um die Mitarbeiter*innen zu binden und zu begeistern?
Das Sorgenkind "Mitarbeiterbindung"
Laut der aktuellen “Face the change”-Studie von Indeed ist die Wechselbereitschaft bei mehr als der Hälfte der Berufstätigen im Rahmen der Coronakrise gestiegen. Gleichzeitig denken fast die Hälfte der befragten HRler*innen einer Studie von Robert Half, dass die Fluktuation der Mitarbeitenden gestiegen ist. Dass die Mitarbeiterbindung in diesem Rahmen relevanter denn je ist, sollte auf wenig Überraschung stoßen. Schließlich belasten Kündigungen nicht nur das Team, das die Arbeit des verlorenen Mitglieds auffangen muss, bis eine neue Kolleg*in gefunden wurde. Sie wirken sich zusätzlich auf die Firmenkasse aus. So liegt der durchschnittliche Mindestbetrag laut Deloitte pro Fluktuationsfall bei rund 14.900 Euro.
Was ist nun der Grund für hohe Fluktuationszahlen? Zu wenig Wertschätzung, ein fehlender “Sinn” der eigenen Arbeit, ein zu hohes Arbeitspensum und enttäuschte Erwartungen sind hier nur ausgewählte Beweggründe für Mitarbeitende, das Unternehmen zu verlassen.
Das heißt:
Grundsätzlich stehen alle diese Beweggründe unter dem gleichen Stern: Einer zu geringen Mitarbeiterbindung. Wer sich mit der aktuellen Stelle identifizieren kann und sich im Unternehmen wohlfühlt, wird eine Kündigung seltener in Betracht ziehen als jemand, der mit den Strukturen und der Arbeit unzufrieden ist. Arbeiten Unternehmen nicht aktiv daran, die Beziehung zu ihrem Personal möglichst positiv zu gestalten, werden die Mitarbeitenden früher oder später eine “Trennung” in Erwägung ziehen. Deswegen stellen wir im Folgenden Maßnahmen vor, um die Mitarbeitenden langfristig an das eigene Unternehmen zu binden.
Mitarbeiterbindung ist mehr als die Verringerung der Fluktuation
Die Bindung der eigenen Mitarbeiter wirkt sich auf mehr als das bloße Verhindern von Kündigungen aus. Sie geht gleichzeitig Hand in Hand mit der Motivation und Leistungsbereitschaft des eigenen Teams. Sind die Mitarbeitenden mit der Organisation, der Führung, dem Team und ihrer Aufgabe zufrieden, werden sie motivierter sein, einen Teil zum Unternehmenserfolg beizutragen. Damit fördert die Mitarbeiterbindung auch aktiv das Wachstum und den Erfolg eines Unternehmens.
Zudem können erfahrene Mitarbeitende bessere Leistungen erbringen als Teammitglieder, die zuerst noch die Zeit benötigen, sich einzuarbeiten. Auch eingespielte Teams sind in ihrer Arbeit produktiver, wenn sie sich aufeinander – das Teamwork – verlassen können.
Ein kleiner Tipp von uns:
Um ein Verständnis für die einzelnen Phasen des Teambuildings aufzubauen und mit auftretenden Problemen bestmöglich umzugehen, empfehlen wir das Tuckman Phasenmodell. Bei neuen Teams ist besonders der Anfang nicht immer leicht. Mit dem Modell können die Teamleads bestimmen, in welcher Phase der Teambindung sie stehen und entsprechende Maßnahmen ableiten. So lohnen sich zu Beginn besonders Training, die ein Gemeinschaftsgefühl stärken, während später das Festlegen verbindlicher Regeln zielführender ist.
Des Weiteren bringt ein gleichbleibendes Team auch auf Kundenseite, vor allem aus Sales- und Kundenmanagement-Sicht, Vorteile mit sich. Eine gleichbleibende Ansprechpartner*in sorgt, bei einem guten Verhältnis, für eine bessere Bindung und erleichtert dabei die Kommunikation und Verhandlungen untereinander. Schließlich kennen sich beide Parteien und wissen dadurch, was von dem anderen erwartet und gewünscht wird.
Zu guter Letzt lohnt sich eine Erwähnung des positiven Effekts auf die Employer Brand:
Mitarbeitende, die mit ihrem Unternehmen höchstzufrieden sind, teilen diese Gefühle möglicherweise in ihrer Peer Group, auf Arbeitgeberbewertungsportalen oder auf Social Media. Positive Testimonials helfen dabei, neue Talente anzuziehen und ein positives Bild von sich als Arbeitgeber zu vermitteln.
Eine gute Auswahl geht voraus
Die Mitarbeiterbindung beginnt nicht erst nach Unterschreiben des Arbeitsvertrags. Eine gute Auswahl der Kandidat*innen, mit Blick auf den Cultural- und Person-Job-Fit ist Voraussetzung dafür, dass sich die Mitarbeitenden später wohl in der Organisation fühlen. Hierbei gilt vor allem, auf die Erwartungen der Kandidat*innen zu achten. Sie mit ansprechenden Benefits oder einem tollen Teamzusammenhalt zu übertreffen, ist natürlich der Optimalfall. Hat allerdings eine hochqualifizierte Kandidat*in zu hohe Erwartungen an die Stelle, lohnt es sich nicht, sie mit leeren Versprechen ins Unternehmen zu locken. Schließlich kommt das böse Erwachen spätestens in den ersten Arbeitswochen – und resultiert meist in einem schnellen Absprung.
Alles zur optimalen Gestaltung des Bewerbungs- und Auswahlprozesses haben wir hier zusammengestellt.
Mit welchen Maßnahmen binde ich meine Mitarbeiter*innen?
Grundsätzlich können die Mitarbeitenden an vier unterschiedlichen Stellen an das Unternehmen gebunden werden. Werden alle vier erfüllt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitarbeiter*in das Team wieder verlässt, am geringsten. Diese vier Bereiche sind:
Die Bindung an das Unternehmen/die Organisation
Die Mitarbeiter*in fühlt sich zu dem Unternehmen als Ganzes verbunden und unterstützt, was die Organisation zu der Gesellschaft beiträgt.
Social Responsibility, Identifikation mit Unternehmenswerten, Cultural-Fit
Verantwortung: Unternehmensleitung (Unternehmenskultur schaffen)
Die Bindung an die Aufgabe
Die Mitarbeiter*in identifiziert sich mit ihrer Tätigkeit, ist ideal ausgelastet und findet Sinn in der eigenen Arbeit.
Sinnstiftende Aufgaben, optimaler Workload, Schulungen und Weiterbildungen, Mentoring, Karrieremöglichkeiten, Wertschätzung, Person-Job-Fit
Verantwortung: HR (Personalauswahl und -entwicklung), Teamleitung (Aufgabenverteilung, Unterstützung)
Die Bindung an das Team
Die Mitarbeiter*in fühlt sich wohl in dem eigenen Team, kann sich auf die Kolleg*innen verlassen und offen mit ihnen kommunizieren.
Teamevents, Betriebsfeiern, Feedback-Kultur, Wissensaustausch, Transparenz, klare Rollenverteilung
Verantwortung: HR (Arbeitskultur prägen), Teamleitung (Vorbildfunktion, Feedbackkultur etablieren), Teammitglieder (wertschätzende Zusammenarbeit auf Augenhöhe)
Die Bindung an die Führung
Die Mitarbeiter*in wird von den Führungskräften motiviert und begeistert und kann offen Kritik äußern sowie Probleme ansprechen.
Mitarbeitergespräche, Transparenz, mitarbeiterzentrierte Erfolgskultur, Führungsgrundsätze
Verantwortung: Unternehmensleitung (Führungsgrundsätze festlegen), Teamleitung (Führungsgrundsätze leben/verwirklichen), HR (Evaluation und Unterstützung)
Die Rolle von Benefits
Insgesamt gibt es fünf konkrete Maßnahmen-Säulen, die sich auf die Zufriedenheit der Mitarbeitenden auswirken.
1. Möglichkeiten zur Arbeitsorganisation
In diesem Punkt geht es darum, das Arbeitsumfeld der Mitarbeitenden zu optimieren, um sie bei der Work-Life-Balance zu unterstützen und eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen. Wer sich am eigenen Arbeitsplatz wohlfühlt, wird seine Aufgaben motivierter und stressfreier erledigen können. Maßnahmen, die in diesem Feld getroffen werden können, sind:
- flexible Arbeitszeiten,
- Vermeidung von Überstunden,
- Homeoffice-Optionen,
- ein sehr gut ausgestatteter Arbeitsplatz je nach den Anforderungen,
- Optionen zur Kinderbetreuung und
- kostenlose Verpflegung.
2. Die Unternehmenskultur und -kommunikation fördern
Ob zwischen Teamkolleg*innen oder über die Hierarchien hinweg: Eine offene Kommunikation ist das A und O, um Probleme zu identifizieren und Prozesse zu verbessern. Gleichzeitig wirkt sich eine definierte und vor allem gelebte Unternehmenskultur stark auf die Beziehungen innerhalb des Unternehmens aus. Hier stehen folgende Punkte im Vordergrund:
- Transparent kommunizierte Unternehmenswerte,
- Umsetzung dieser in allen Abteilungen (eine gelebte Kultur),
- Social Responsibility,
- Umsetzung einer Feedback-Kultur (Mitarbeiterbefragungen, Exit-Interviews),
- Teamevents, Betriebsfeiern,
- Wertschätzung.
3. Ein umfangreiches Onboarding
Besonders in den ersten 12 Monaten ist die Gefahr, dass ein neu eingestelltes Mitglied wieder kündigt, besonders hoch. Schließlich hat sie oder er im Laufe des Bewerbungsprozesses eine gewisse Erwartungshaltung aufgebaut. Die ersten Wochen und Monate entscheiden nun, ob diese Vorstellung der Realität entspricht – und bilden deswegen ein höheres Potenzial für Enttäuschungen. Maßnahmen, um diese zu verhindern, sind beispielsweise:
- ein sanfter Einstieg ins Unternehmen und die Arbeitsaufgaben (nicht gleich die Leistung erfahrener Mitarbeiter erwarten),
- den Arbeitsplatz vorbereiten (wichtiges Equipment, Willkommensgeschenk),
- wichtige Fakten zur Organisation und den Abläufen übermitteln,
- positiv eingestimmte Kolleg*innen, die dem neuen Teammitglied hilfsbereit und offen gegenübertreten.
4. Die Personalentwicklung fördern
Laut einer Studie von Xing über die Wünsche für das Arbeitsjahr 2021 gaben die meisten der Befragten (62%) an, sich weiterentwickeln zu wollen. Neue Herausforderungen und Ziele können die Mitarbeitenden motivieren und zu neuen Leistungshöhepunkten anstiften. Damit bringt die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden auch immer Vorteile für den Arbeitgeber mit sich. Maßnahmen in diesem Bereich sind:
- Schulungen, Weiterbildungen und Seminare,
- internes Mentoring, Coaching- und Nachwuchs-Programme,
- Jobenlargement, Jobenrichment und Jobrotation,
- Aufstiegs- und Karriereperspektiven,
- Talent Management (Förderung der “High Potentials”),
- Projektarbeit.
5. Finanzielle und gesundheitliche Vorteile bieten
Zeigen, dass das Wohlbefinden der Mitarbeitenden dem Unternehmen am Herzen liegt und gleichzeitig die Arbeit des Teams angemessen entlohnen: Gesundheit und Gehalt sind zwei wichtige Punkte auf der Agenda von Arbeitnehmenden. Zusatzleistungen, rund um die normale, monatliche Bezahlung und die rechtlich vorgegebenen Maßnahmen, schätzen Mitarbeiter*innen besonders und stärken ihre Bindung. Hierzu zählen:
Auf Seiten der Gesundheit:
- betriebliches Gesundheitsmanagement,
- Gesundheitskurze und –beratungen,
- Unterstützungen für das Fitnessstudio,
- Firmenrad,
- betriebliche Sportangebote.
Auf Seiten der monetären Vorteile:
- Bonuszahlungen,
- betriebliche Altersvorsorge (mit Möglichkeiten zur individuellen Anpassung),
- Firmenwagen,
- Fahrkostenzuschüsse,
- Gutscheine,
- kostenlose Getränke- und Essensversorgung,
- Urlaubs- und Weihnachtsgeld,
- geldwerte Vorteile.
Für eine optimale Zufriedenheit: Anpassung an Bedürfnisse
Die Reihe der Maßnahmen ist lang und teilweise in der Umsetzung sehr komplex. Braucht es wirklich all das, um die Mitarbeitenden zufriedenzustellen? Selbstverständlich nicht. Berufstätige Eltern freuen sich so beispielsweise über flexible Arbeitszeiten und Möglichkeiten zur Kinderbetreuung – sind aber kaum an Seminaren am Wochenende interessiert. Jemand, der jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, benötigt kein Jobticket, lässt sich aber möglicherweise für Fitnessangebote begeistern. Um das Beste aus den Maßnahmen herauszuholen, müssen diese an die Belegschaft angepasst werden.
Hierbei müssen Aufwand und Nutzen abgewogen werden:
Ein Obstkorb oder Tischkicker sind leicht zu besorgen, treffen aber, je nach Belegschaft, auf mehr oder weniger Begeisterung. Zu bedenken sind beispielsweise auch Techniker*innen oder Außendienstmitarbeitende, die meist außer Haus arbeiten und damit kaum von den Benefits am Unternehmensstandort profitieren. Für diese Mitarbeitende müssen Alternativen geschaffen werden, um mögliche Nachteile gegenüber den Kolleg*innen vor Ort aufzuwiegen. Möglichkeiten sind hier beispielsweise Weiterbildungsmöglichkeiten, Firmenwagen oder kostenlose Besuche im Fitnessstudio.
Priorität Nummer 1: Das Interesse der Mitarbeitenden!
Besonders bei komplexeren Maßnahmen wie der Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements oder Coaching- und Mentoring–Programme, sollte vorher überprüft werden, ob die Belegschaft an solchen Möglichkeiten überhaupt interessiert ist. Dabei spielen auch der Sinn und die Notwendigkeit der Maßnahmen eine Rolle. So kann beispielsweise eine Techniker*in an einem Kommunikationscoaching interessiert sein – was allerdings für die Tätigkeit im Unternehmen kaum wertschöpfend ist. Für die Auswahl der Maßnahmen sollten Umfragen und Gespräche hinzugezogen werden, damit die Vorstellungen der Mitarbeitenden mit denen des Unternehmens weitestgehend zusammengeführt werden können.
Mitarbeiterbindung ist ein Geben und Nehmen
Welche Maßnahmen auch gewählt werden, um den Erfolg im Rahmen einer höheren Leistungsfähigkeit und geringeren Fluktuation zu sähen – sie müssen auf die Belegschaft angepasst werden. Voraussetzung hierfür ist es, die Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeitenden im Blick zu haben. Regelmäßige Mitarbeiter- und Feedback-Gespräche können helfen, die richtigen Maßnahmen zu wählen. Aber auch Exit-Interviews unterstützen dabei, die Gründe für Kündigungen zu verstehen und die eigenen Prozesse anzupassen.
Grundsätzlich gilt: Jedes Teammitglied steckt ein Stück von sich selbst in das Unternehmen – das eigene Know-How, die Zeit und Anstrengung. Ziel des Arbeitgebers muss es sein, von sich selbst etwas beizusteuern – Wertschätzung, eine positive Arbeitsatmosphäre, Benefits –, damit der “Vorrat” der Mitarbeitenden nicht aufgebraucht wird und in Unzufriedenheit und geringerer Leistungen resultiert. Die Arbeitsbeziehung muss ein Geben und Nehmen sein – nur dann ist sie von gegenseitigem Vorteil.
Unsere Learnings
- Unternehmen, die gezielt in Mitarbeiterbindung investieren, reduzieren nicht nur die Fluktuationsrate und die damit verbundenen Kosten. Sie erhöhen Motivations- und Leistungsbereitschaft, verbessern Kundenbeziehungen und ziehen dabei neue Kandidat*innen an.
- Mitarbeiter*innen können über unterschiedliche Felder des Unternehmens an dieses gebunden werden. An die Organisation als Ganzes, das Team, die Aufgabe oder die Führung. Wer hier auf allen Ebenen die Erwartungen und Wünsche der Mitarbeitenden erfüllt, wird eine besonders starke Bindung erreichen.
- Die Reihe an möglichen Maßnahmen zur Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit ist lang. Wichtig ist jedoch, die Maßnahmen auszuwählen, die sich die Mitarbeitenden auch wirklich wünschen. Hier helfen Mitarbeitergespräche und -umfragen, um einen möglichst hohen Nutzen aus dem Aufwand zu ziehen.
- Die selektive Mitarbeiterbindung ist eine gute Möglichkeit für größere Unternehmen, die Komplexität der individuellen Förderung zu reduzieren und besonders talentierte Mitarbeitende zu fördern. Hier sollte darauf geachtet werden, andere Mitarbeiter*innen nicht zu benachteiligen und damit zu frustrieren.