Früher war alles besser, oder?
Damals, in Zeiten des Arbeitgebermarktes, bewarben sich Kandidat*innen noch von „allein“ bei Unternehmen. Dass Stellen lange unbesetzt blieben, war eher eine Ausnahme. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Heute sitzen die Kandidat*innen am längeren Hebel und Recruiter*innen sind in der Pflicht, proaktiv auf sie zuzugehen. Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren oder keinen neuen Job zu bekommen, haben die Wenigsten. Denn in Deutschland liegt die Arbeitslosenquote bei 6,1 % (Stand: 05/2020). Im Gegensatz dazu steigt der Bedarf an qualifizierten Fachkräften kontinuierlich.

Was sich Recruiter*innen wünschen
Viele Recruiter*innen wünschen sich möglichst viele Bewerbungen für ihre Vakanzen. Denn sie glauben, je größer der Pool ist, desto höher ist die Chance, dass sie das passende Talent darunter finden. Steigt mit der Anzahl an Bewerbungen zwangsläufig auch die Qualität dieser oder muss mehr Zeit in die Personalauswahl gesteckt werden? Wir gehen dem auf die Spur. 🕵️♀️
Time-to-HIGHER
In der Personalbeschaffung sollte nicht Quantität, sondern die Qualität der Bewerbungen im Vordergrund stehen. Das heißt, der Fokus liegt darauf, talentierte Kandidat*innen zu einer Bewerbung zu bewegen und ungeeignete Kandidat*innen vom Bewerbungsprozess abzuhalten. Das mag im ersten Moment hart klingen, kommt aber beiden Seiten zugute. Schließlich macht es wenig Sinn, Energie und Zeit für eine Bewerbung aufzuwenden, wenn die Aussicht auf Erfolg eher gering ist.
Das Ziel sollte sein, die Time-to-Hire so niedrig wie möglich zu halten und die notwendige Zeit den richtigen Kandidat*innen zu widmen. Das spart Zeit und minimiert so die Time-to-Hire.
Bewerbungseingänge verschiedener Unternehmensgrößen
In einer Studie hat man rund 300 Unternehmen zu deren durchschnittlichen Anzahl an Bewerbungen innerhalb eines Jahres befragt. Firmen mit 50 bis 99 MA geben an, rund 170 eingehende Bewerbungen zu verzeichnen. Bei Unternehmen mit 100 bis 499 MA liegt der Schnitt bei 312 Bewerbungen. Konzerne (> 500 MA) erhalten in der Regel 1.640 Bewerbungen.
Dass die Anzahl an Bewerbungen mit zunehmender Unternehmensgröße steigt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Große Unternehmen haben auf das Jahr gesehen mehr offene Stellen und schreiben demnach mehr Vakanzen aus. Außerdem spielt der Bekanntheitsgrad eine wichtige Rolle, wodurch Unternehmen mit über 500 MA eine höhere Reichweite bei potenziellen Bewerber*innen erzielen.
Weitere Faktoren sind unter anderem die Attraktivität dieser Arbeitgeber, die durch Gehalt, Tarifverträge und die höhere Arbeitsplatzsicherheit gegeben sind und KMUs weniger garantieren können. Aber welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Personalbeschaffung im Detail?
Die Milchmädchenrechnung
Wie hoch der Zeitaufwand bei der Personalauswahl wirklich ist, zeigt diese Herleitung. Eine Faustregel besagt, dass ein Vorstellungsgespräch circa zwei Personen-Stunden beansprucht. Das heißt pro eine Stunde Vorstellungsgespräch werden ein*e Recruiter*in und eine Person aus dem Fachbereich benötigt. So ergibt sich ein Verhältnis von 1:2.
Diese Regel dient als grobe Orientierung und kann je nach Vakanz, Unternehmen und Auswahlprozess stark variieren. Anhand der Ergebnisse aus der oben genannten Studie, ergibt sich für Unternehmen mit 100 bis 499 MA folgende Rechnung:
Quantität
In einem mittelgroßen Unternehmen arbeiten drei Personaler*innen. Jede*r von ihnen stellt im Jahr vier neue Mitarbeitende ein. Dafür sichtet er*sie 104 Bewerbungsunterlagen und führt 22 Vorstellungsgespräche. Der reine Zeitaufwand für die Gespräche beläuft sich auf 44 Stunden.

Vermeintliche Qualität
Das heißt pro Jahr siebt eine Personaler*in pro Vakanz 80% C-Kandidat*innen vor Beginn der Vorstellungsgespräche aus. Von den verbliebenen 20% A/B-Kandidat*innen erhalten rund 1/5 einen Arbeitsvertrag.

Wird man dem Wunsch nach mehr Bewerbungen bei gleichbleibender Anzahl offener Stellen und C-Kandidat*innen gerecht, ergibt sich diese fiktive Hochrechnung:
Jede*r Personaler*in bekommt 208 Bewerbungen, lädt 44 Kandidat*innen zum Vorstellungsgespräch ein und würde vier von ihnen einstellen. So gehen 88 Stunden je Personaler*in für Gespräche von der Arbeitszeit ab. Und dass bei gleichbleibendem Outcome.

Neues Ziel: Weniger Bewerbungen!
Der Trugschluss ist offensichtlich, denn es kommt darauf an, sich bei den richtigen Kandidat*innen zu platzieren. Mehr Bewerbungen bedeuten nicht automatisch, dass der prozentuale Anteil qualitativer Kandidat*innen steigt. Das zeigt die fiktive Hochrechnung deutlich. Was jedoch mit steigenden Bewerberzahlen einhergeht, ist der zunehmende Zeitaufwand für HR. Das Hauptaugenmerk aus Sicht der Recruiter*innen sollte darauf liegen, geeignete Talente möglichst früh zu identifizieren. Bereits vor dem Herausfiltern an Bewerbungseingängen ist darauf zu achten, die richtigen Kandidat*innen anzusprechen, damit sich die „Falschen“ gar nicht erst bewerben. Viele Unternehmen setzen dafür auf teils mehrstufige Auswahltests oder KI-gestützte Algorithmen.
Die richtigen Talente mit realem Content finden
Das Identifizieren qualifizierter Talente beginnt bereits vor dem eigentlichen Bewerbungsprozess. Zum Beispiel sind die Aufgaben hinter einer Jobposition ein ideales (fachliches) Spiegelbild des Anforderungsprofils an die Kandidat*innen. Welche Aufgaben erwarten sie im Unternehmen? Welche Herausforderungen hat die Firma zu meistern? Wie ist die Zusammenarbeit mit anderen Stakeholdern? Je nach Format werden diese und noch weitere Fragen mittels authentischer Arbeitsproben beantwortet.
Arbeitsprobe
Natürlich können die berufsrelevanten Informationen auch in der Stellenausschreibung erklärt werden, aber nichts ist besser einen realen Einblick in den Arbeitsalltag zu bekommen, als die Praxis zu sehen. Und das am besten schon bevor sich die Kandidat*innen bewerben.
Und wie Sie das mit einer JobChallenge lösen können, finden Sie hier.
Unsere Learnings
- Bei Bewerbungen ist die Qualität entscheidender als die Quantität.
- Es kommt nicht auf die Anzahl der Bewerbungen, sondern auf den prozentualen Anteil der geeigneten Personen im Bewerberpool an.
- Verschiedene Formate von Arbeitsproben verschlanken den Recruiting-Prozess.
- Arbeitsproben sind ein faires und valides Instrument, um die Qualität der Kandidat*in zu beurteilen.