Aktivismus statt Attentismus
Active Sourcing auf Businessnetzwerken hat im Recruiting längst Einzug gefunden. Immer mehr Unternehmen entdecken die Direktansprachen unter anderem mithilfe des Xing Talentmanagers oder LinkedIn Recruiters für sich. Kein Wunder, denn laut Monster-Studie von 2019 wollen mehr als 50% aller Kandidat*innen vom Unternehmen angesprochen und umworben werden.
Xing, LinkedIn & Co
Neben prominenten Netzwerken wie GitHub und Stackoverflow bieten auch kleinere, unbekanntere Plattformen wie brainGuide oder get in {IT} für spezifische Berufsgruppen in IT, Wirtschaft und Recht eine gute Möglichkeit, Talente direkt zu kontaktieren. Was viele nicht wissen: neben diesen kostenpflichtigen Netzwerken stellen manche Anbieter ihre Tools im Basisformat kostenlos zur Verfügung.
Beispiele hierfür sind u.a. Recruit’em und Hiretual. Beide Sourcing Tools screenen anhand eingegebener boolescher Suchbegriffe die Social Media Profile von Kandidat*innen auf Xing, LinkedIn oder Twitter. Hiretual durchforstet zusätzlich Facebook und Github.
Die Kunst der direkten Kandidatenansprache
Zur Identifikation qualifizierter Kandidat*innen gehört jedoch viel mehr als nur ein Jonglieren mit booleschen Befehlen und das Scannen unzähliger Profile. Die Kunst der aktiven Suche nach neuen Teammitgliedern liegt in der richtigen Ansprache. Besonders erfahrene Fachkräfte gefragter Branchen, wie IT und Vertrieb, finden nahezu wöchentlich Jobanfragen von Recruiter*innen verschiedenster Unternehmen in ihren Postfächern. Klingen diese nach automatisierten Massennachrichten, wecken sie eher selten das Interesse der vorrangig passiven Kandidat*innen auf Businessnetzwerken. Eine geringe Antwortrate ist vorprogrammiert. Schließlich haben sie bereits einen Job und sind auf derartige Angebote nicht angewiesen.
Umso wichtiger ist es, die Tipps und Tricks einer gelungenen Kandidatenansprache zu kennen. Zu wissen, wie man als Unternehmen hervorsticht und die Aufmerksamkeit der Wunschkandidat*in für sich gewinnt. Vor diesen Herausforderungen stehen täglich viele Personaler*innen, die bemüht sind, ihre Vakanzen mit den richtigen Kandidat*innen zu besetzen.
Leitfaden zur Kandidatenansprache
Folgende Dos and Don’ts helfen dabei, eine authentische Ansprache zu formulieren, die sich von standardisierten Texten abhebt. Die Tipps erhöhen somit die Chance, dass sich die Kandidat*innen über eine Jobposition austauschen möchten. Zusätzlich zahlt dies auch auf die Arbeitgebermarke ein. Denn auch wenn der*die Kandidat*in aktuell nicht an einem Arbeitgeberwechsel interessiert ist, bleibt die Kontaktaufnahme in positiver Erinnerung. Bestenfalls bewirbt sich der*die Kandidat*in zu einem späteren Zeitpunkt beim Unternehmen oder tritt mit dem*der Recruiter*in wieder in Kontakt.
Vorbereitung:
Recruiting ist reine HR-Sache vs. mit Fachabteilung kooperieren
Arbeiten HR und die jeweilige Fachabteilung beim Recruiting Hand in Hand, bringt das einige Vorzüge mit sich. Fachbereiche können die konkreten Aufgaben genau definieren und die dazugehörigen Qualifikationen bestens einschätzen. Somit weiß der*die Recruiter*in auf welche Aspekte er*sie bei der Kandidatensuche und -auswahl zu achten hat (Stichwort: Person-Job-Fit).
Im HR-Tunnelblick verharren vs. über den Tellerrand blicken
Die Zeiten von Post and Pray sind vorbei. Es liegt in der Verantwortung der Recruiter*innen, die veränderten Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt in ihrer Strategie zu berücksichtigen. Ihre Aufgabe ist es demzufolge, Kandidat*innen zu begeistern und vom Unternehmen zu überzeugen. Das richtige Vertriebs-Mindset kann Recruiter*innen helfen, Verkäufer*innen in eigener Sache zu werden. Mehr Informationen dazu gibt´s hier.
Durchführung:
Nutzerverhalten nicht berücksichtigen vs. auf gutes Timing achten
Die User sind vor allem in den Morgenstunden und am späten Nachmittag auf LinkedIn und Xing aktiv. Auch am Wochenende werden die Postfächer gecheckt – vor allem bei schlechtem Wetter. Wichtig ist auch, die jeweiligen Ferien- und Semesterzeiten im Blick zu haben. In diesen Zeitfenstern ist die Antwortrate für Trainee- oder Praktikumsstellen häufig geringer.
0815-Textvorlage für alles nutzen vs. Kommunikation auf Zielgruppe ausrichten
Im Vorhinein muss klar sein, welche Informationen für die jeweilige Zielgruppe relevant sind oder welcher Schreibstil, gemäß der Seniorität der Vakanz, als angemessen gilt. Nicht jede*r Kandidat*in will geduzt bzw. gesiezt werden. Letzteres folgt jedoch keiner Regel, sondern sollte individuell gewählt werden. Es ist demnach empfehlenswert, den Ansprachetext an die jeweilige Jobposition anzupassen. Da Individualität im Sourcing an oberster Stelle steht, sollte jede Ansprache so individuell wie möglich gestaltet werden.
“Marketing Manager gesucht” vs. kreative und individuelle Betreffzeile wählen
Kreativität und Personalisierung des Betreffs entscheiden oft bereits, ob die Nachricht überhaupt gelesen wird. Das heißt der Betreff sollte interessant klingen und „Lust“ machen, mehr zu erfahren.
Unpersönliche Ansprache aka Massenmail versenden vs. individuelle Texte schreiben
Individualität ist das Schlüsselwort. Kandidat*innen merken sofort, wenn sie nur eine*r von vielen sind. Bekannten Sourcing-Koryphäen wie Barbara Braehmer und Henrik Zaborowski zufolge ein absolutes No Go. Stattdessen sollte ernsthaftes Interesse an der Person gezeigt werden. Ansprachen werden geschätzt, wenn auf einzelne Punkte aus dem jeweiligen Profil (beruflicher Werdegang, Erfahrungen, Kompetenzen oder Wünsche) eingegangen wird. Dadurch ergibt sich auch die Verknüpfung, weshalb gerade er oder sie für die Vakanz in Frage kommen.
Standard-Jobangebot unterbreiten vs. das i-Tüpfelchen hervorheben
Der*die Wunschkandidat*in wird sich fragen, was er*sie davon hat, im werbenden Unternehmen anzufangen. Was könnte Interesse wecken? Welchen Mehrwert bietet der Jobwechsel? Und warum sollte sich der*die Kandidat*in genau hier bewerben? Ein guter Mix aus echten Jobinhalten und angebotenen Benefits weckt Interesse, stellt den Mehrwert für den Kandidaten heraus und präsentiert das Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber.
Unrealistische Versprechungen machen vs. Authentizität und Ehrlichkeit wahren
Ein ehrliches Auftreten ist wichtig, denn werden zu Beginn große Versprechungen gemacht, sind die Erwartungen der Talente entsprechend hoch. Daher sollte nichts geäußert werden, was nicht der Wahrheit entspricht oder nicht eingehalten werden kann. In diesem Zusammenhang sollte auch unbedingt das Kununu– und Glassdoor-Profil sowie die eigene Karriereseite überprüft werden. Diese Zugangspunkte werden nach der Kontaktaufnahme zuerst angeschaut und vermitteln den Kandidat*innen einen ersten Eindruck vom Unternehmen.
Auf Überredungsversuche setzen vs. begeistern und überzeugen
Der*die Kandidat*in soll das Gefühl vermittelt bekommen, dass das Jobangebot ernst gemeint und er*sie genau der*die Wunschkandidat*in ist. Gleichzeitig soll er*sie sich zu nichts verpflichtet fühlen und überzeugt statt überredet werden. Es geht darum, eine Candidate Relationship aufzubauen und mit einem lockeren Erstgespräch zu starten. Der*die Kandidat*in entscheidet über den weiteren bzw. erneuten (späteren) Austausch mit dem*der Recruiter*in.
Info-Dschungel vs. zu Beginn auf Highlights setzen
Eine kurze Metapher: Dass der Dyson-Staubsauger smarter, schöner und handlicher ist als herkömmliche Staubsauger, suggeriert die Werbung. Diese löst ein Gefühl der Begeisterung aus, ohne die Zuschauer*innen mit Fakten zu überhäufen. Ist das Interesse der potenziellen Kundschaft erst geweckt, kann das Produktdatenblatt abschließend überzeugen.
Ähnlich ist es auch bei der Kandidatenansprache. Zunächst geht es darum, mit ausgewählten Highlights Interesse zu wecken. Hat man den*die Kandidat*in erst an der Angel, folgt echte Überzeugungsarbeit mit tiefergehenden Informationen im weiteren Gesprächsverlauf.
In eine Einbahnstraße fahren vs. Austausch anregen
Offen gestellte Fragen, wie „Hast du schon mal mit XYZ Erfahrungen gesammelt?“ laden zur Interaktion ein. Damit signalisiert der*die Recruiter*in Interesse am identifizierten Kontakt und zeigt ihm*ihr Wertschätzung. Zudem lässt man Raum für Nachfragen, was wiederum den Dialog fördert.
Gießkannenprinzip anwenden vs. gezielt und systematisch anschreiben
Kolleg*innen tauschen sich aus. Unter Umständen leiden das Image des werbenden Unternehmens bzw. des*der Recruiters*in, wenn mehrere Mitarbeitende der gleichen Firma zur selben Stelle angeschrieben werden. Die oben angepriesene Individualität geht verloren und das Vertrauensverhältnis nimmt Schaden. Alle kontaktierten Kandidat*innen sollten daher dokumentiert werden, um u.a. Doppelungen vorzusorgen.
Ghosting vs. Speed it up!
Schnelligkeit spielt nicht nur beim Bewerbungsprozess eine entscheidende Rolle. Schon beim Kennenlernen der Kandidat*innen über die direkte Ansprache ist eine zeitnahe Rückmeldung des*der Recruiters*in ausschlaggebend. Denn hat man erst einmal die Aufmerksamkeit des*der Kandidaten*in, sollte nicht lange mit einer erneuten Nachricht gezögert werden. Auch hier heißt es: Auf gegenseitige Wertschätzung achten. Schließlich macht sich der*die Kandidat*in die Mühe zu antworten und ist an einem Austausch interessiert. Das sollte auf Gegenseitigkeit beruhen.
Nachbereitung:
Sachlichkeit und Neutralität verlieren vs. Professionalität und Respekt wahren
Es ist wichtig, die Wünsche, Reaktionen und Entscheidungen der angeschriebenen Kandidat*innen zu respektieren und auf deren Antworten einzugehen. Gerade bei negativen Rückmeldungen der Kandidat*innen, egal welcher Art, sollte sachlich und neutral reagiert werden. So beugt man Image-Schäden durch „ungünstige“ Kommunikation vor.
Spam vs. looking at The Bright Side
Wenn der*die Kandidat*in auch nach der 2. Ansprache nicht auf die Nachricht eingeht, kann dies zwei Gründe haben: entweder besteht kein Interesse oder die Nachricht wurde nicht gelesen. In ersterem Fall sollte man das Ganze im Sand verlaufen lassen, sonst läuft man Gefahr, aufdringlich oder verzweifelt zu wirken. Bei Letzterem sollte man einer ggf. späteren Rückmeldung gegenüber offen sein und ebenfalls auf diese eingehen.
Sich auf das Bauchgefühl verlassen vs. relevante KPIs messen und auswerten
Dabei reicht es nicht, die reine Antwortrate festzustellen. Viel interessanter ist doch, wie viele positive Rückmeldungen die Ansprache einbrachte. Beim Ergebnisvergleich können ggf. Rückschlüsse auf den Erfolg verschiedener Ansprachetexte gezogen werden.
Kontaktierte Kandidat*innen abhaken vs. Talent Pool pflegen
Aufbau und Pflege nachhaltiger Beziehungen zu potenziellen Kandidat*innen gelingt, indem diese stets auf dem Laufenden gehalten und über neue Vakanzen informiert werden. Auch wenn die Antwort auf den ersten Kennenlernversuch negativ ausfällt, kann sich die Ansprache durch Vernetzung und Kontaktpflege als gewinnbringend herausstellen. (Stichworte: Crowd Recruiting und Talent Pool).
Unsere Learnings
- Strategisch und strukturiert vorgehen.
- Die Ziele im Blick behalten und gleichzeitig offen bleiben.
- Den Schreibstil der Zielgruppe anpassen.
- Die Kandidatenansprache so individuell und wertschätzend wie möglich formulieren.
- Zu jeder Zeit Ehrlichkeit, Authentizität und Respekt wahren.
- Eigene Netzwerke nutzen à Referral Sourcing.
- Den Mehrwert durch Talent Pool erkennen und diesen pflegen.
Unser Freebie
Mit unserer kostenfreien Übersicht zur Kandidatenansprache auf Businessnetzwerken können Sie einfach überprüfen, ob Ihre Ansprache Sie optimal im Recruiting unterstützt.
Hier finden Sie weitere nützliche Beiträge zu diesem Thema:
- Active Sourcing: Wie viel Psychologie steckt in der Kandidatenansprache?
- Active Sourcing erreicht 50% der Toptalente nicht
- Der Recruiting-Mix: Alle Informationen im Überblick
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