Recruiting vs. Sales
Auf den ersten Blick scheinen Recruiting und Sales nicht viel gemein zu haben.
Recruiting widmet sich der Suche und dem Finden geeigneter Kandidat*innen. Dafür wird das Anforderungsprofil der Jobposition analysiert und in eine Stellenausschreibung umformuliert. Kandidatensuche, Screening von Bewerbungsunterlagen sowie deren Vorselektion und Vorstellungsgespräche folgen. Zu Zeiten des Post and Pray war es ausreichend, eine Stelle zu veröffentlichen und schon flatterte eine Bewerbung nach der anderen herein. Die Personalabteilungen konnten aus einer Vielzahl an Kandidat*innen auswählen.
Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Nicht mehr die Recruiter*in, sondern die Kandidat*in sitzen am längeren Hebel. Recruiting muss mehr Bemühungen investieren, um neue Mitarbeitende zu erwerben und aktiv auf qualifizierte Talente zugehen.
Hingegen fokussiert man im Vertrieb die wirtschaftliche Gewinnmaximierung, die durch den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen herbeigeführt wird – und nicht zu vergessen, die damit verbundenen Provision. Um Produkt oder Dienstleistung sprichwörtlich „an den Mann zu bringen“, wird tiefgreifendes Fachwissen über die jeweiligen Produkte/Dienstleistungen vorausgesetzt. Die Vertriebskolleg*innen bauen vom Erstkontakt mit den Kund*innen eine intensive Kundenbeziehung auf, die über Jahre hinweg andauern kann. Arbeiten Sales Manager*innen zudem im Außendienst, ist eine hohe Reisebereitschaft erforderlich. Heißt: Sales kommt mit einem Angebot auf potenzielle Interessenten zu.
Bei der genaueren Betrachtung der Berufsbilder fällt auf, dass es durchaus Parallelen gibt. Beide Disziplinen leben von einer wechselseitigen zwischenmenschlichen Beziehung. Ob Kund*in oder Kandidat*in ist egal – Recruiting und Sales erkennen die Bedürfnisse ihres Gegenübers (Produkt/Dienstleistung bzw. Job) und wollen den Mangel mit ihrem Angebot stillen. Dabei steht der Mensch stets im Mittelpunkt und man muss proaktiv auf ihn*sie zukommen.
Beziehungsmodell in Vertrieb …
Um die Schnittstelle besser zu verstehen, ist es hilfreich zu wissen, was „gute Vertriebsarbeit“ ausmacht. Trotz voranschreitender Digitalisierung vergisst man, dass Kaufgeschäfte nach wie vor zwischen mindestens zwei Menschen abgeschlossen werden. Es findet ein Austausch von Bedürfnissen und Informationen statt. Vertriebsmitarbeiter*innen müssen den sogenannten „Pain-Point“ herausfinden. Also den Faktor, den die Kund*in fehlt, um mit der Situation zufrieden zu sein. Nur wenn sie diesen kennen, können sie die passende Dienstleistung oder das richtige Produkt verkaufen. Das geschieht nicht mit einer Frage, sondern anhand einer Reihe an Touchpoints mit der potenziellen Kundschaft. Mit Nachrichten und persönlichen Gesprächen baut die Vertriebler*in eine Bindung zu den Käufer*innen auf und schafft eine Vertrauensbasis.
Die Beziehung ist für den erfolgreichen Kaufabschluss fundamental, da Kaufentscheidungen mit Emotionalität verbunden sind. Das Ziel ist es, dass die Kund*in nach einem Kauf einer Dienstleistung oder eines Produktes das Gefühl hat, sich für etwas entschieden zu haben, was man wirklich braucht und damit zufrieden ist. Negativ wäre, wenn die Käufer*in im Nachhinein denkt, dass „ihnen gerade etwas verkauft wurde“.
... und im Recruiting
Das Pendant der Personalgewinnung wird aufgrund des geringen Anteils aktiv Suchender auf dem Arbeitsmarkt immer offensichtlicher. Es ist keine Neuigkeit, dass Personalbeschaffung mehr Aktivismus auf Arbeitgeber-Seite erfordert. Die Mission: qualifizierte Talente identifizieren und ihnen das Unternehmen sowie die Vakanz „schmackhaft“ machen. Um neue Mitarbeitende zu generieren, ist es beim Recruiting genauso wichtig eine Beziehung zur Kandidat*in aufzubauen, um ihn*sie vom Jobangebot zu überzeugen. Die Wahrnehmung der Arbeitgebermarke sowie die Sinnhaftigkeit der Arbeitsaufgaben haben für die Kandidat*innen eine hohe emotionale Bedeutung.
Geht es vor allem darum Spezialisten- und Führungspositionen zu besetzen und eine nachhaltige Personalrekrutierungs-Strategie zu verfolgen, ist das Talents Acquisition Management der Schlüssel um eine langfristige Bindung zu möglichen Kandidat*innen zu entwickeln (Stichwort: Talentpool). Wie bei gutem Vertrieb zeichnet gute Recruitingarbeit dadurch aus, dass sich die Kandidat*in im Unternehmen wohlfühlt und mit der neuen Berufswahl zufrieden ist und bleibt.
Unsere sechs Sales-Learnings für das Recruiting
1. Candidate & Customer Journey
Genau wie Kunden*innen erwarten Bewerber*innen einen userfreundlichen (Bewerbungs-)Prozess. Dieser beginnt bei Awareness und endet beim Onboarding. Komplementär dazu der Erstkontakt als Anfangs- sowie der Vertragsabschluss als Endpunkt.
2. CRM
Eine Abkürzung die jede*r im Vertrieb und Recruiting kennt: Customer Relationship Management und Candidate Relationship Management. Diese helfen bei der eigenen Organisation und führen zu einer guten Kommunikation mit potenziellen Kund*innen bzw. Kandidat*innen. Vertrauen und Sicherheit bilden das Fundament des Beziehungsmanagements.
3. Erwartungshaltung
Verkäufer*innen leisten Überzeugungsarbeit. Sie müssen Funktionsweisen, Vorteile und Sicherheiten der Produkte/Dienstleistungen gewissenhaft und ehrlich erklären. Dadurch entsteht bei Kund*innen eine Erwartungshaltung, die erfüllt werden muss. Durch Personalmarketing und Employer Branding werden bei Bewerbern*innen ebenfalls Erwartungen (Unternehmenskultur, Werte, Benefits, etc.) erzeugt. Diese müssen von den Personalern*innen und damit von der Realität bestätigt werden und dürfen keine leeren Versprechen bleiben.
4. Konkurrenz
Es ist keine Seltenheit, dass die potenzielle Käufer*in über verschiedene Produkte/Dienstleistungen anderer Anbieter informiert wird. Gleiches tritt bei Bewerber*innen auf. Sie stehen häufig mit mehreren Unternehmen in Kontakt und können sich den nächsten Job quasi aussuchen. Damit sie sich für das eigene Produkt bzw. die eigene Stelle entschließen, kommunizieren Vertrieb und Recruiting die USPs (Unique Selling Points). Optimales Preis-Leistungsverhältnis, nachhaltiger Erfolg und ein innovatives Produkt/Dienstleistung auf der einen Seite, beste Entwicklungschancen, exklusive Benefits und eine sinnhafte Aufgabe auf der anderen Seite sollen zum Kauf bzw. zur Stelle bewegen.
5. Repräsentation
Vertriebsmitarbeitende stellen i.d.R. den Erstkontakt zu Kunden*innen her. Ähnlich ist es im Bewerbungsprozess. Recruiter*innen sind die ersten persönlichen Kontaktpersonen, die Bewerber*innen mit dem Unternehmen haben. Und immer noch gilt: Der erste Eindruck zählt! Unabhängig davon wie Kandidat*in bzw. Kund*in mit dem Gegenüber verbleiben, brennt sich das „Gesicht“ des jeweiligen Sales- oder Recruiting-Teammitglieds ein und steht repräsentativ für die gesamte Firma.
6. Zielgruppe
Um mit den richtigen USPs zu punkten, spielen Buyer und Candidate Persona eine wesentliche Rolle. Sales und Recruiting kennen die Bedürfnisse, Ziele und Schmerzpunkte (Pain Points) ihrer Zielgruppe, um individuell auf diese einzugehen und ihre Chancen im Wettbewerb zu erhöhen.
Mehr Vertriebsmindset im Recruiting
Die anfängliche Gegenüberstellung hat bereits gezeigt, dass sich ein Wandel im Recruiting vollzieht. Nun liegt es in der Verantwortung der Recruiter*innen, die veränderten Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt in ihre Strategie zu berücksichtigen. Das heißt die Aufgabe ist es, mehr Vertriebsarbeit im Recruiting zu leisten. Der Aufbau einer Beziehung zu Talenten ist von enormer Bedeutung für die Besetzung offener Vakanzen. Doch allein das Sammeln an Kontakten im Talentpool ist nicht die Lösung.
Wie im Sales sind es die verschiedenen Touchpoints, die die Beziehung pflegt und aufrechterhält. Recruiter*innen müssen sämtliche Register ziehen, um potenzielle Bewerber*innen von ihrem Unternehmen zu begeistern und sich von der Konkurrenz abzugrenzen. Es geht darum bei den Kandidat*innen im Gedächtnis zu bleiben. Auch wenn diese aktuell nicht suchen, also passiv wechselwillig sind. Ist es wichtig ihnen regelmäßig Content zu liefern und sich als attraktives Unternehmen zu präsentieren. So werden Kandidat*innen zu Kund*innen im Recruiting. Denn bis sie das Produkt bzw. den Job haben wollen, ist eine Menge Vertriebs-/Recruitingarbeit notwendig!