Wer auf der Suche nach neuen Auszubildenden ist, sitzt häufig mit dem Rücken zur Wand. Kein Wunder, denn vielen Ausbildungsberufen fehlt es an Fame. Zu sehr und zu lange hat das Image der Ausbildung gelitten und die Rechnung dafür bekommt HR von Jahr zu Jahr stärker zu spüren.
Fehlende Begeisterung für die Ausbildung
Junge Talente für einen Ausbildungsberuf zu begeistern, läuft bei dir … nicht? Immer häufiger liest und hört man, dass Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Allein im vergangenen Jahr (Stand: Juli 2022) konnten 233.400 Lehrlingsstellen in Deutschland nicht besetzt werden. Besonders stark davon betroffen sind Ausbildungsberufe im Bereich Handwerk, Pflege und Soziales sowie kaufmännische Berufsbilder.
Die Ausbildung hat ein Image-Problem



Natürlich treffen die Zitate nicht auf alle Berufsgruppen und Ausbildungsbetriebe zu und sind Momentaufnahmen. Dennoch bleibt die negative Konnotation der Ausbildung und damit auch die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage bestehen. Sie zu schließen, erfordert ein tieferes Verständnis der Anforderungen und Wünsche junger Zielgruppen:
- Warum entscheiden sich junge Menschen für oder gegen eine Ausbildung?
- Was erwarten potenzielle Auszubildende vom Job und vom Arbeitgeber?
- Wie und über welche Kanäle erreicht man die Zielgruppe von morgen?
- Womit können Unternehmen beim Bewerbungsprozess punkten?
Wie ticken Auszubildende und die, die es werden könnten?
1. Die Unternehmensvorstellung und Unternehmenskultur
Den passenden Arbeitgeber zu finden und dann gleich noch den Allerersten überhaupt im Berufsleben, ist keine einfache Entscheidung. Umso wichtiger ist es, den Kandidat*innen zu zeigen, wer man ist und wofür man steht.
Haben Unternehmen nicht gerade allseits bekannte Produkte à la Adidas, Apple und Co, hat die Zielgruppe womöglich noch nie etwas von diesen Arbeitgebern gehört. Daher muss auf allen Kanälen, die man als Unternehmen nutzt (zzgl. derer die die Zielgruppe nutzt, aber das Unternehmen noch nicht), klar werden, was man macht: In welcher Branche ist der Arbeitgeber zu Hause, welche Produkte/Dienstleistungen werden hergestellt/angeboten oder wie ist die Idee des Unternehmens dazu entstanden.
Junge Menschen möchten sich mit dem Unternehmen identifizieren können. Deshalb legen sie auch großen Wert auf die Haltung eines Unternehmens. Welche Werte und Visionen ein Ausbildungsbetrieb vertritt, sind dabei Leitfragen. Diese offen zu kommunizieren, hilft, Auszubildende für sich zu gewinnen. Immerhin würden laut einer Schülerstudie 44% den potenziellen Arbeitgeber ablehnen, wenn dieser nicht die gleichen Werte vertritt wie die Schüler*innen selbst. Bis sich ein potenzieller Auszubildender wirklich mit dem Unternehmen identifiziert, braucht es mehr als einen Social-Media-Post. Die Aufgabe liegt darin, dauerhaft innerhalb der Zielgruppen mit Touchpoints auf verschiedenen Kanälen, die die Zielgruppe nutzt, präsent zu sein. So erhöht sich die Chance, dass der Ausbildungsbetrieb im richtigen Moment in den Köpfen der Kandidat*innen ist.
Das bedeutet auch, dass man nicht von heute auf morgen eine erfolgreiche Arbeitgebermarke aufbauen kann. Dafür sind mehrere zielgruppenspezifische Maßnahmen notwendig, weshalb dauerhafte Sichtbarkeit an enormer Bedeutung für alle Arbeitgeber gewinnt. In einer schnelllebigen Welt, wie unsere, sind ein, zwei oder drei Employer-Branding-Aktionen ein Tropfen auf den heißen Stein. Eine Bindung zur Zielgruppe aufzubauen, braucht Zeit. Echte Einblicke beispielsweise durch Corporate Influencer*innen – also Teammitglieder, die den Alltag zeigen, – sind ein guter und wichtiger Anfang, müssen aber kontinuierlich fortgeführt werden.
Kommen wir zum nächsten Punkt in der Stellenanzeige – „Wen wir suchen“.
2. Die Kandidatenansprache und der Kanal-Mix
Für die eigenen Ausbildungsplätze möchte man natürlich die Besten der Besten. In einer Zeit, in der Ausbildungsplätze rar und Ausbildungssuchende zahlreich vorhanden waren, konnte man sich die Einser-Kandidat*innen aus den Bewerbenden herauspicken. Diese Zeiten sind vorbei. Dass sich die Unternehmen bei den potenziellen Lehrlingen zu bewerben haben, steht aufgrund der Schieflage auf dem Ausbildungsmarkt fest. Doch um zu wissen, bei wem ich mich als Unternehmen bewerben soll, muss zunächst klar sein, welcher Typ für den Ausbildungsberuf in Frage kommt. Ein klassischen Anforderungsprofil ist hier damit aber nicht gemeint, sondern die Erstellung einer Candidate Persona.
Sich vorzustellen, welche Persona für den Ausbildungsberuf XY geeignet ist, spart Ressourcen und steigert die Effektivität der Recruiting- und Employer-Branding-Maßnahmen. Beispielsweise bei der Wahl der effektivsten Kanäle. Junge Menschen nutzen verschiedene Plattformen und Netzwerke, um sich über Unternehmen und deren Jobs zu informieren.
Aber Vorsicht! Alles auf Social Media zu setzen, weil junge Talente hier besonders aktiv sind, wird nicht dazu führen, die Ausbildungsplätze innerhalb eines Monats zu besetzen. Auch wenn Kandidat*innen sich täglich auf den sozialen Netzwerken aufhalten, liegt der Fokus auf Freizeit, Vergnügen und damit dem Konsum anstatt auf der aktiven Jobsuche.
Daher ist die Art der Kandidatenansprache über die sozialen Netzwerke eine besondere Herausforderung für HR. Postings von klassischen Stellenanzeigen werden wenig Aufmerksamkeit erzielen – das zählt nun mal nicht zu Freizeit und Vergnügen. Wohingegen authentische Inhalte zur Unternehmenskultur, dem Arbeitsalltag mit Kolleg*innen und den tatsächlichen Aufgaben relevante – weil unterhaltsame – Formate sind, um die Arbeitgebermarke zu präsentieren. Mit diesen Insights wecken Arbeitgeber das Interesse der Kandidat*innen für sich und ihre Ausbildungs- und Berufswelt.
Halten wir fest: Über Social Media wird zunächst das Interesse der Kandidat*innen geweckt und eine Bindung zur Zielgruppe über echte Einblicke hinter die Kulissen aufgebaut. Mithilfe von Social Ads, also Werbeanzeigen, können die bestimmten Inhalte an die dafür passende Zielgruppe ausgespielt werden. So erreicht man die Zielgruppen, die für den Ausbildungsberuf infrage kommen. Das ist unter anderem eine notwendige Prämisse, damit potenzielle Auszubildende nähere Informationen zum Thema Ausbildung wollen. Eine konkrete Bewerbungsabsicht ist damit noch nicht garantiert.
Junge Zielgruppen informieren sich dazu auf Karriereseiten, nutzen Bewertungsportale wie Kununu oder suchen nach zusätzlichen Informationen etwa zum Ausbildungsberuf an sich oder möglichen Arbeitgebern auf Ausbildungsplattformen wie ausbildung.de, aubi-plus.de oder azubiyo.de. Zudem ist YouTube ein beliebter Kanal, um sich weiteren Input zu diversen Ausbildungen zu besorgen.
Ein Grund für den ausgeprägten Informationswunsch liegt darin, dass viele Jugendliche Angst davor haben, eine Fehlentscheidung zu treffen. Zum Beispiel, weil sie nicht konkret wissen, welche Aufgaben sie in der Ausbildung und später im Beruf erwarten. Womit wir beim nächsten Punkt sind „Das erwartet dich“.
3. Der Job
Häufig findet man an dieser Stelle eine Reihe von Bullet Points mit tollen Buzzwords vor, die das Aufgabenspektrum umfassen, aber wenig beschreiben. Die Mehrheit der Schüler*innen wünscht sich aber eben mehr Konkretes. Was in Schulen im Zuge der Berufsorientierung häufig zu kurz kommt, müssen die Jugendlichen selbst ausbaden. Über die verschiedensten Kanäle suchen sie nach Informationen rund um die berufliche Zukunft. Wie bereits angesprochen, können Unternehmen sie mit authentischen Inhalten zum Arbeitsumfeld, den Aufgaben sowie dem Miteinander im Team enorm unterstützen.
Formate wie Videos von Mitarbeitenden auf TikTok zum Arbeitsalltag, Steckbriefe zum Ausbildungsberuf oder Challenges von whyapply, die authentische Einblicke in die Aufgaben ermöglichen, bieten den Mehrwert, den sich junge Zielgruppen wünschen. Sie sind Vehikel, um potenziellen Auszubildenden zu zeigen, ob einerseits der Ausbildungsberuf (Person-Job-Fit) und andererseits das Team (Person-Team-Fit) zu einem passt.
4. Die Benefits
Vergütung
Perspektiven
Sympathie
Der zwischenmenschliche Faktor darf ebenfalls nicht unterschätzt werden. Fairness, eine positive Arbeitsatmosphäre oder kollegiales Miteinander – alles wofür soziale Kompetenz gebraucht wird. Im Vergleich zur Vergütung und den Perspektiven übt das soziale Umfeld den größten Einfluss auf die Berufswahl aus. Fehlender respektvoller Umgang oder ein toxisches Betriebsklima sind für fast 80% der Befragten einer Schülerstudie Grund genug, um sich gegen eine Ausbildung bei dem Unternehmen zu entscheiden.
Es spielt keine Rolle, ob eine Bewerber*in 16 oder 46 Jahre jung ist. Beiden sollten der nötige Respekt und die Wertschätzung entgegengebracht werden ebenso wie ein offenes Ohr für Innovationen. Gerade wenn man bedenkt, in welcher prekären Situation Unternehmen sind, Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten. Ein sympathisches Auftreten und eine wertschätzende Kommunikation sind das A und O, um junge Menschen zu begeistern, eine Ausbildung anzufangen und wiegen gegebenenfalls Minuspunkte beim Gehalt auf.
Praktische Erfahrungen
Specials
Einige Unternehmen sind bereits sehr kreativ geworden, indem sie sich ihre Zielgruppe der Auszubildenden genau angesehen haben. So bieten einige Ausbildungsbetriebe Unterstützung bei der Wohnungssuche an. An Standorten, bei denen die Wohnungsmarktlage angespannt ist, wird die Unterstützung als wertvoller Benefit anerkannt und seitens der Bewerber*innen honoriert. Andere Arbeitgeber entwickeln Arbeitszeitmodelle, um beispielsweise in der Pflege angemessenere Arbeitszeiten zu ermöglichen.
Im Wesentlichen haben alle Benefits einen gemeinsamen Nenner: Unternehmen sind in der Pflicht, sich stärker auf die Bedürfnisse und Wünsche junger Zielgruppen einzulassen, wenn sie neue Auszubildende gewinnen wollen. Der Handlungsspielraum ist bei jedem Unternehmen natürlich verschieden. So ist es nicht immer (sofort) umsetzbar für „wünschenswerte“ Arbeitszeiten oder ein Top-Gehalt zu sorgen. Und auch das wird nicht bei jedem Betrieb oder Beruf möglich sein. Deshalb sollten dann die anderen Pluspunkte stärker betont werden. Möchte man in der Pflege arbeiten, gehören beispielsweise Schichten am Wochenende oder in der Nacht dazu. Personen, die aber gerne Menschen unterstützen möchten (Stichwort: Purpose) und den Pflegeberuf „dennoch“ ausüben wollen, werden das in Kauf nehmen, wenn die positiven Aspekte überwiegen.
Veränderungen sind möglich und nötig, um der Ausbildung zu neuem Glanz zu verhelfen. Ein zielgruppenspezifischer Bewerbungsprozess gehört da ebenso dazu. Das bringt uns zum letzten Punkt in der Stellenanzeige „Wir freuen uns auf deine Bewerbung“.
5. Der Bewerbungsprozess
Abgesehen von der mobil-optimierten Karriereseite, braucht der Bewerbungsprozess an sich ebenfalls ein mobiles Update. Die jungen Zielgruppen sind es gewohnt alles mit dem Smartphone erledigen zu können: ob Shopping, Essensbestellungen, Urlaubsreisen, Banking etc. alles ist über das Handy abbildbar. Da lohnt es sich neue Formate zu finden und alte zu überdenken, die auf dem mobilen Endgerät wenig nutzerfreundlich sind. Wie der Upload von Dokumenten, das Schreiben eines Lebenslaufs oder Anschreiben.
Ist die Bewerbung abgeschickt, heißt es warten… besser nicht. Schnelligkeit zahlt sich aus, denn die Konkurrenz schläft nie. Außerdem ist eine schnelle Rückmeldung zur Bewerbung und deren aktuelle Bearbeitungsstand vielen jungen Menschen sehr wichtig. Schließlich kennen wir das alle aus dem Alltag – auch wieder ob Shopping, Essensbestellung etc.
Unsere Learnings
- Authentische Einblicke in den Ausbildungsberuf und den Unternehmensalltag bauen Hürden ab und schaffen Sicherheit bei der Berufswahl.
- Social Media wird zum Konsum von ausbildungsrelevantem Content genutzt und nicht zum Bewerben.
- Offene Kommunikation und Transparenz sind wichtige Eckpfeiler, um die Vorzüge einer beruflichen Ausbildung zu zeigen und der negativen Konnotation den Kampf anzusagen.
- Für Auszubildende geht es um den Start in das Berufsleben. Hier ist alles für sie neu und ungewiss. Die Bindung zum Unternehmen kann durch regelmäßige Touchpoints schon vor Ausbildungsbeginn gestärkt werden.
- Um der Ausbildung ein besseres Image zu verpassen, haben Unternehmen viele Möglichkeiten. Wichtig ist dabei, dass die Zielgruppe näher mit den Berufen und den Unternehmen in Kontakt kommt und erfährt, welche Vorteile eine Ausbildung mit sich bringt.
- Azubi-Recruiting und Azubi-Marketing beginnen nicht erst einen Monat vor dem 1. August. Junge Menschen von einer Ausbildung zu begeistern, geschieht nicht über Nacht. Es sind viele Touchpoints über verschiedene Kanäle nötig, um die Ausbildung wieder attraktiver werden zu lassen. Das erfordert eine ganzheitliche Strategie und nicht nur einen Social-Media-Post auf Instagram.
Hier finden Sie weitere nützliche Beiträge zu diesem Thema:
- Candidate Persona: Der Schlüssel zum zielgruppengenauen Recruiting
- Candidate Journey: So gelingt der optimale Bewerbungsprozess
- kostenlose Checklisten für die Karriereseite und Stellenanzeige
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