Externe Veränderungen können nur gemeistert werden, wenn sich auch die intern, bestehenden Prozesse anpassen. Die Rolle „Human Relations“ hat eine weitreichendere Funktion als sie in vielen Unternehmen aktuell tatsächlich ausüben kann. Deshalb braucht HR einen neuen Status.
Die Personalarbeit: Wandel vs. Status Quo
Digitalisierung
Viele Personalabteilungen befinden sich in einer Zwickmühle. Einerseits heißt es, dass sie sich transformieren müssen: digitaler, agiler und effizienter. HR muss aus der Rolle des verwaltenden Gremiums raus, um die Zukunft des Unternehmens strategisch mitgestalten zu können. In vielen Köpfen ist dieser Wille nach Veränderung vorhanden. Andererseits zeigt sich im Alltag ein ganz anderes Bild. Verschiedene Studien decken diese Realität auf. Beispielsweise geben laut HR-Future-Studie die Hälfte der HR-Expert*innen an, dass ihre Personalprozesse nur teilweise automatisiert sind. Eine weitere Untersuchung erklärt, dass nur 8% der HR-Strukturen in mittelständischen Unternehmen komplett digitalisiert seien. Ein ernüchterndes Ergebnis, denn Personaler*innen betonen, dass sie fast die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Verwaltungsaufgaben verbringen. Bevor die Welle der HR-Transformation richtig angestoßen werden kann, gibt es noch einiges zu tun.
Change Management
Für einen erfolgsversprechenden Change-Management-Prozess braucht es die Zusammenarbeit aller Unternehmensabteilungen und damit allen voran die Unterstützung der Führungsetage. Und genau hier scheinen die Welten zwischen Wunsch und Realität stark voneinander abzuweichen. Beispielsweise sagen zwei Drittel aller befragten Personalabteilungen bei einer Umfrage von Talention, in diesem Jahr (2021) kein zusätzliches Recruiting-Budget zur Verfügung gestellt zu bekommen. Wenn das Banking aus der Chefetage nicht entsprechend an die veränderte Arbeitsmarktsituation angepasst wird, aber gleichzeitig die Erwartungshaltung steigt, nach wie vor „hunderte“ Bewerbungen pro Stelle zu erzielen, wird es mit dem Aufbruch in die Gestalterrolle schwierig.
Die zentralen Herausforderungen für HR
In unserer täglichen Arbeit bei whyapply sehen auch wir, in welcher Konfliktsituation HR steckt. Zunächst einmal muss man an dieser Stelle festhalten, dass die meisten aller Personaler*innen, mit denen wir zusammenarbeiten, für ihre Sache brennen und sich nichts weniger wünschen, als das Recruiting und Employer Branding in ihrem Unternehmen auf ein neues Level zu heben. Dabei kämpfen sie mit drei Herausforderungen:
1. Druck von überall
Der Druck aus den Fachbereichen und der Führungsebene, die Stellen zu besetzen, ist omnipräsent. In sehr vielen Fällen ist HR weniger ein strategischer Partner, sondern mehr “williger Erfüllungsgehilfe”, der für neue Bewerber*innen sorgt. Am ehesten ist in dieser Sichtweise HR mit dem Einkauf zu verstehen, der die neuen Maschinen “ranschaffen” soll. Natürlich immer gestern und möglichst kostenlos.
2. Mangelnde Kapazitäten
HR ist in aller Regel keine Abteilung im Unternehmen, die mit Überkapazität gesegnet ist. Infolgedessen ist das Ausprobieren neuer Lösungen und das Verfolgen langfristiger strategischer Ansätze, meist in einem Konflikt mit den überladenden Aufgaben des Tagesgeschäfts.
3. Große Anzahl an HR-Lösungen
Hinzu kommt, dass es mittlerweile eine nahezu unerschöpfliche Anzahl an Dienstleistern auf dem Markt gibt, welche – und das ist auch nur mehr als verständlich – den Personalabteilungen allen das Heil versprechen. Aufgrund von Druck und Zeitmangel haben viele Personaler*innen im Alltag nicht die Möglichkeit, die einzelnen Anbieter und Lösungen sowohl technisch, funktionell, aber auch vor dem Hintergrund vom Abgleich zur Firmenidentität etc. zu prüfen.
Es gibt Personalverantwortliche, welche den zuletzt genannten Punkt in Form von Blog-Diskussionen, Twitter oder ähnlichem nach Feierabend oder am Wochenende in privater Weise nachverfolgen, um in ihrer Profession den Anschluss nicht zu verlieren. Allerdings können nicht alle diese Möglichkeit in solch einem Umfang wahrnehmen. So oder so gibt es eine Vielzahl an Angeboten, die aufgrund der stärkeren Wettbewerbssituation je nach Zielgruppe, ihre Berechtigung im Recruiting-Mix haben und brauchen! Denn ein einziger Ansatz reicht nicht aus, um die Herausforderungen in der Personalgewinnung zu lösen. Nicht selten hören wir im Gespräch mit Recruiter*innen, dass die “altbekannten” Methoden nicht mehr den gewünschten Erfolg bringen.
Sechs zentrale Problemstellungen im Recruiting
Diese Rückmeldungen spiegeln sich auch in den Erfahrungen unseres Vertriebs im Austausch mit Personalverantwortlichen wider. Daraufhin haben wir folgende Schmerzpunkte definieren können:
Qualität
Über die bisherigen Kanäle bewerben sich Kandidat*innen, die nicht den Anforderungsprofilen entsprechen.
Quantität
Das Unternehmen erhält nicht genügend Bewerber*innen, um die offenen Vakanzen zu besetzen. Im Zuge der demographischen Entwicklung und damit einhergehenden Mangels in einigen Berufen, ist dies die am Häufigsten genannte Ursache.
Altlast bestehender Tools
Aus verschiedenen Gründen funktionieren bestehende Kanäle nicht, die allerdings dennoch ihren Platz im Unternehmen genießen. Dies kann beispielsweise bei Rahmenverträgen der Fall sein.
Zeitdruck
Aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse, wie plötzliche Personalverstärkung durch Auftragseingänge, den Absprung einer schon gesetzten Kandidat*in oder der spontanen Kündigung einer Mitarbeiter*in, muss die Besetzung einer Vakanz sehr schnell vonstattengehen.
Budgetmangel
Dies kommt vor allem bei Spezialisten-Positionen zum Tragen, die mit herkömmlichen Recruiting-Maßnahmen, wie beispielsweise der Stellenanzeige, nicht besetzt werden können. Hier bedürfte es oftmals „höherpreisige“ HR-Lösungen, wofür es allerdings selten eine Budget-Freigabe gibt. So wird ein Mittelweg eingeschlagen und gehofft, mit kostengünstigeren Maßnahmen einen ungefähren Ersatz zu erreichen. In der Regel geht die Rechnung nicht auf. Denn die Kür im Recruiting liegt in der Qualität statt der Quantität der Bewerbungen. Insbesondere bei Spezialisten-Vakanzen ist dies nur schwer zu erreichen.
Alarmstufe Rot
Alle bisherigen Maßnahmen sind ins Leere gelaufen. Mit zunehmendem Besetzungsdruck steigt (erst dann) die Bereitschaft, etwas Neues auszuprobieren.
Wird eine neue Methode getestet oder in den Recruiting-Mix aufgenommen, steht meist ein konkreter Bedarf, wie die Besetzung einer vakanten Position, dahinter. Das klingt erstmal logisch. Wir kennen es alle, solange alles halbwegs gut geht, wiegen wir uns in Sicherheit – auch wenn am Horizont schon das Unheil lauert. Gehen aktuell noch Bewerbungen ein, verschwindet schnell das Bewusstsein, dass sich dies schnell ändern kann. So zeigt sich der demografische Wandel längst im Recruiting – aber das Verständnis jetzt zu handeln und nicht erst wenn es bereits zu spät ist, ist noch nicht überall da.
HR will sich verändern
Eine erfreuliche Tendenz ist, dass immer mehr Personaler*innen und Führungspositionen bestimmte Themen mit hoher Priorität auf die eigene Agenda nehmen. Beispielsweise, dass …
- Kandidat*innen keine endlosen, formalen Prozesse wollen, sondern wenig Hürden, um so die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass sie sich bewerben.
- die Mehrheit an Arbeitnehmer*innen nicht aktiv auf Jobsuche ist, sondern sich in einem Arbeitsverhältnis befinden, welches sie aber bei einer spannenden Herausforderung wechseln würden.
- eine zielgruppenspezifische Ansprache notwendig ist, um nicht mehr, sondern die richtigen Kandidat*innen zu erreichen und somit das Recruiting effizienter zu gestalten und
- Kandidat*innen auch in ihren privaten Social-Media-Kanälen für Berufscontent empfänglich sind und somit Recruiting auch abseits von Businessnetzwerken funktioniert. Dieser Punkt ist besonders spannend, da eine unserer Untersuchungen aus dem Vorjahr feststellte, dass 50% der Top-Talente kein Profil auf XING oder LinkedIn haben und somit auch nicht dort auf dem Radar der Personaler*innen auftauchen. Aktuelle Zahlen zeigen sogar, dass nur 38% aller Arbeitnehmenden in Deutschland Xing nutzen. Mit dem Einbezug der sozialen Netzwerke erreicht man einen größeren Teil der Zielgruppe.
Unser Tipp:
Der Knackpunkt liegt im Perspektivwechsel. Wir empfehlen, dass jede Recruiter*in einmal die Candidate Journey des eigenen Bewerbungsprozesses durchspielen sollte. Ganz einfach gesagt: Sich einmal selbst beim eigenen Unternehmen bewerben, um somit mögliche Schwachstellen und Optimierungspotenziale herauszufinden. Denn es ist ganz normal, dass man mit der Zeit bestimmte Hürden nicht mehr wahrnimmt (Stichwort: Betriebsblindheit). Daher ist es zusätzlich hilfreich, sich Rückmeldungen von neuen Teammitgliedern einzuholen und danach zu fragen, welche Punkte man noch verbessern kann.
Eine langfristige Recruiting-Strategie verfolgen
Aus dem Marketing ist bekannt, dass für eine Kaufentscheidung mindestens fünf bis sieben Kontaktpunkte nötig sind. Und auch im Recruiting sind verschiedene Kontaktpunkte der Schlüssel zum Erfolg. Doch ist dies nicht eins zu eins übertragbar. Schließlich ist ein Jobwechsel eine durchaus weitreichendere Entscheidung als beispielsweise der Kauf einer neuen Jacke. Das heißt es sind wesentlich mehr Touchpoints erforderlich und meist ist es ein Mix an Kanälen, die dazu führen, dass eine Kandidat*in Interesse an einem neuen Job hat. Bei einem Autokauf brauchen die Konsument*innen rund 24 Touchpoints – das kommt einem Jobwechsel schon eher gleich.
Natürlich kommt es auch vor, dass kurzfristig eine Stelle besetzt werden muss. Daher ist es sinnvoll mittels einer langfristigen Recruiting- und Employer-Branding-Strategie dauerhaft in der Zielgruppe sichtbar zu sein, um mit Einzelmaßnahmen dem kurzfristigen Need entgegenzuwirken. Der Vorteil unserer JobChallenges ist es, dass diese sowohl zur Besetzung beiträgt als auch mit echtem Job-Content zu einer erhöhten, nachhaltigen Sichtbarkeit des Arbeitgebers und der spannenden Vakanzen innerhalb der relevanten Zielgruppe führt. Letzteres wird nochmals gepushed, indem der Präsenzzeitraum verlängert wird, um die Kontaktpunkte weiter zu erhöhen. Daher sind die 3er-Pakete auch unsere Bestseller.
Wie kann eine Lösung aussehen?
Inventur
Wir plädieren für eine kritische Inventur der bisherigen Maßnahmen mit Fokus auf die Anpassung des vorherrschenden Recruiting-Mix an die aktuellen Marktgegebenheiten. Das schließt lang- und kurzfristige Maßnahmen gleichermaßen ein. Ist die Inventur gemacht, steht fest, ob die bislang eingesetzten Maßnahmen für die adäquate Besetzung aller Stellen ausreichen.
Falls ja, dann kann bei einer zusätzlichen Budget-Freigabe die Chance genutzt werden entweder die bisherigen HR-Lösungen aufzustocken oder neue Maßnahmen zu testen, um deren Potenzial herauszufinden. Nur weil eine bestimmte HR-Lösung gestern funktioniert hat, heißt das nicht zwangsläufig, dass diese auch morgen noch genauso erfolgreich sein wird. Daher ist die Neugier auf andere Ansätze im Recruiting immer ein guter Weg, um nachhaltig für geeignete Talente zu sorgen.
Fällt das Ergebnis der Inventur jedoch nicht zufriedenstellend aus, sollte der Recruiting-Mix angepasst werden. Das bedeutet nicht immer das Ersetzen aller alten Lösungen. Die zu klärenden Fragestellungen sind: „Was soll mit der Maßnahme erreicht werden?“ und „Welche Zielsetzungen sind erwartbar?“. Dies beinhaltet auch die Wahl neuer Produkte und Dienstleistungen auf die Passung zum Unternehmen und Vakanzen zu überprüfen, um diese im besten Fall in den Mix zu integrieren.
Testen neuer Maßnahmen
Selbstverständlich kann vor einem Test mit neuen Dienstleistern und Produkten der Erfolg nicht garantiert werden. Somit bleibt ein gewisses Risiko. Denn man weiß noch nicht, wie die Lösung im Zusammenspiel mit den eigenen Vakanzen funktioniert. Schließlich werden die Ergebnisse von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst (Standort, Arbeitgeberbewertungen, Gehalt, aktuelle Situation, etc.). Um ein Urteil darüber zu fällen und zu erkennen, welche Chancen sich dadurch ergeben, kann nur ein Test, Aufschluss geben.
Wichtig ist, dass...
Personaler*innen sich immer bewusst sind, dass nix im Status Quo verbleibt. Denn ändert sich ein Einflussfaktor im Recruiting-Prozess, wirkt sich dies auf alle anderen Komponenten aus. Das verdeutlicht die aktuell die Corona-Situation. Homeoffice, Kinderbetreuung und die Suche nach dem Sinn in der eigenen Arbeitsaufgabe haben neue Dimensionen angenommen und werden von Arbeitnehmer*innen verlangt! Arbeitgeber, die hierbei den Kandidat*innen nur schleppend entgegenkommen, haben schlechte Karten. Bieten Unternehmen solche Vorteile an, sollten diese auch nach außen kommuniziert werden. Nur so kann die Zielgruppe auch davon erfahren.
Unsere Learnings
- Die Relevanz der Transformation von HR-Prozessen und -Strukturen ist in vielen Unternehmen angekommen. Jetzt gilt es gemeinsam die Weichen für das Gelingen zu stellen. Dafür ist u.a. eine Sensibilisierung aller Abteilungen für die Personalarbeit notwendig.
- Recruiting und Employer Branding gehen miteinander einher und können nicht getrennt betrachtet werden. Beide Prozesse sind ein Marathon und sollten nicht länger als ein Sprint gesehen werden.
- Personaler*innen können bereits mit kleinen Änderungen viel bewirken. Zu verstehen, dass Recruiting auch Vertriebs- und Marketingarbeit bedeutet, zeigt, dass ein neues Mindset (auch über die HR-Abteilung) hinaus gebraucht wird.
- Darüber hinaus hilft die Neugier auf innovative HR-Lösungen, Personaler*innen dabei die neuen Herausforderungen auch lösen zu können. Denn HR kann nicht alles allein bewältigen.