Benefits, Diversität und Co waren gestern – das diesjährige Buzzword heißt „Purpose“. Dabei ist der Begriff nicht neu, sondern seit Beginn an Teil einer jeden Unternehmenskultur. Doch warum beschäftigt sich HR erst jetzt damit und welche Entwicklungen haben Arbeitnehmende und Arbeitgeber bislang in Bezug auf die Arbeitswelt durchlaufen?
Die Frage nach dem Sinn
Die Fragen nach dem Sinn des Lebens sowie der Zweck des Daseins beschäftigt die Menschheit seit Jahrhunderten. Philosophen wie Platon und Aristoteles postulierten bereits rund 400/300 v.Chr., dass der Mensch im Leben nach Glück strebe. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es einen motivationalen Aspekt, der sie (vor-)antreibt, anstatt im Status Quo zu verweilen. Der Ansporn, etwas im Leben leisten zu wollen, liegt darin, dass der Mensch einen Sinn in einer bestimmten Sache sieht und verfolgt. Und genau dieser Sinn begleitet die Gesellschaft nach wie vor.
Der Sinn der Arbeit
Im Kontext der Arbeitswelt lag der Sinn der Arbeit lange Zeit im Geld verdienen. Die alten Geschlechterrollenbilder sorgten dafür, dass Männer für die finanziellen Einkünfte verantwortlich waren. Sie arbeiteten, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu erwirtschaften. Und wie sieht das heute aus?
Geld zu verdienen war aufgrund der wirtschaftlich schlechten Lage vor allem für die Babyboomer und GenX der treibende Impuls von Arbeit. In den 80ern hat sich mit dem wachsenden Wohlstand in der westlichen Gesellschaft und gleichzeitig der herrschen Unsicherheiten durch Terrorismus und dem Klimawandel dann der Sinn von Arbeit gewandelt. Mit der Generation Y rückten neue Faktoren wie die Work-Life-Balance oder Autonomie in den Mittelpunkt, denn sie wollen das Leben genießen und nicht “nur Leben um zu arbeiten”. Die Millennials hinterfragen bestehende Strukturen im Beruf und bewerten damit auch die Frage nach dem Sinn der Arbeit neu. Die Aufgaben im Job sollen künftig Spaß machen, aber auch einen Beitrag für die Gesellschaft leisten – quasi einen höheren Zweck erfüllen. Woher rührt der wortwörtliche Sinneswandel in der Arbeitswelt?
Fokusstufen der Arbeitswelt: von der Balance zum Purpose
Das Konstrukt der Arbeit ist im ständigen Wandel. Einflüsse wie Digitalisierung, Globalisierung und der demographische Wandel sind nur einige Gründe für die Veränderungen und zeigen, dass die Arbeitswelt stets neuen Anforderungen gegenübersteht. So kam es dazu, dass sich im Verlauf der 2000er bestimmte Trends, wie Diversität oder Corporate Social Responsibility im Berufsleben herauskristallisiert haben.
1. Work-Life-Balance
Mit dem Eintritt der Gen Y in das erwerbsfähige Alter stieg die Bedeutung der Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben. Diese Generation und die nachfolgende Gen Z möchte nicht mehr nur Arbeiten, sondern auch Freiräume für Familien, Freizeit und Selbstverwirklichung schaffen. Ihr Verständnis von Arbeit grenzt sich von dem der älteren Generationen ab. Anlass dafür ist die veränderte Arbeitsweise, die die jungen Zielgruppen verfolgen. Feste Arbeitszeiten von sieben Uhr bis halb vier am Nachmittag stehen im Widerspruch zum selbstbestimmten Arbeiten. Die Millennials (Gen Y) und die Digital Natives (Gen Z) wollen flexible Arbeitszeiten und -modelle, um Arbeit- und Privatleben gut miteinander kombinieren zu können. Und zwar so, wie es ihren individuellen Alltag am besten unterstützt.
2. Benefits
Die nächste Phase definiert die Ära der Benefits – immer mehr und besser ist hier scheinbar das Motto. Mittlerweile bieten die meisten Firmen Obstkörbe, Pausenyoga und diverse weitere Benefits an. Das sorgt dafür, dass sich die Unternehmen kaum voneinander unterscheiden. Diese Problematik zeigt sich deutlich, wenn man einen Blick auf die DAX-Konzerne wirft. Bis auf eine Ausnahme werben alle mit exakt denselben Benefits, sodass sich hier kaum ein entscheidender Vorteil für einen bestimmten Arbeitgeber herausstellt. Und auch wenn für viele Bewerber*innen Benefits nach wie vor relevant sind, sind sie dennoch nur eines von vielen Kriterien für die Wahl des Arbeitgebers. Das zeigt sich unter anderem bei der Bewertung der Arbeitgeber (durch Bewerber*innen). Nur weil die großen Unternehmen alle Benefits anbieten können, heißt dies längst noch nicht, dass sie dadurch automatisch beliebter sind. Die Arbeitgeberbewertungsplattform kununu verrät nämlich, dass der Bewertungsdurchschnitt in der Kategorie „Bewerber“ bei nur 3,0 liegt.
Natürlich ist dies kein allumfassendes Bild und die starken Employer Brands der Konzerne sorgen nichtsdestotrotz dafür, dass sie viele Bewerbungen erhalten. Dennoch bedeutet dies nicht automatisch, dass auch die richtigen Kandidat*innen für die jeweilige Vakanz unter den Bewerbungen dabei sind. Jedoch veranschaulicht dieser Wert (Ø 3,0), dass Benefits allein als Bewerbermagnet nicht ausreichen.
Abgesehen davon, dass nicht alle Benefits für jede Zielgruppe gleichermaßen wichtig sind (mehr dazu in unserem Whitepaper), verfolgen dennoch viele Unternehmen das Gießkannen-Prinzip in Sachen „Benefits“. Prinzipiell ist das nicht verkehrt, aber auch hier sollte HR darauf achten, den Fokus bei der Ansprache entsprechend der Zielgruppe zu legen.
💡 Tipp:
Benefits sollten keine leeren Versprechen sein, um mögliche Kandidat*innen anzulocken oder um nach außen ein „tolles Image“ zu schaffen. Die Zusatzleistungen sollten sich in der Unternehmenskultur widerspiegeln und zum Gesamtkonzept des Arbeitgebers passen. Daher muss eine Firma auch nicht alle möglichen Benefits anpreisen, sondern sich auf diejenigen konzentrieren, die die Zielgruppe des Unternehmens ansprechen.
3. Corporate Social Responsibility
Die nächste Stufe beschäftigt sich mit dem Aspekt der Nachhaltigkeit. Der Corporate Social Responsibility (kurz: CSR) fordert von den Betrieben ein, eine sozial-gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Hintergrund ist, dass Unternehmen nicht nur ihre ökonomische Sichtweise betrachten sollen, sondern ebenso die Perspektive anderer Stakeholder (Gesellschaft, Umwelt oder Gesetzlichkeit) in ihrem wirtschaftlichen Handeln berücksichtigen. Nachhaltigkeit ist keineswegs nur ein Thema für die Zielgruppe „Fridays for Future“. Der CSR ist altersübergreifend für alle Generationen von großer Bedeutung. 75% der Arbeitnehmer*innen betonen, dass der Nachhaltigkeitsaspekt im Unternehmen für sie einen hohen Stellenwert einnimmt. Darüber hinaus geben rund zwei Drittel an, dass sie von einer Bewerbung absehen, wenn der Arbeitgeber umweltschädliche Produkte herstellt.
Das heißt: Je mehr sich Unternehmen ihrer sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung bewusstwerden und ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, desto attraktiver werden diese als Arbeitgeber für potenzielle Kandidat*innen.
4. Diversity
Diversität war der prägende Leitgedanke von New Work in den Jahren 2019/2020. Chancengleichheit, Gleichbehandlung der Kandidat*innen und genderneutrale Geschlechterbilder von Menschen verschiedener Herkunft, Hautfarbe und Glaubenseinstellung sollten mittlerweile eine Selbstverständlichkeit sein. Und tatsächlich geht die Idee von Diversity weit darüber hinaus. Ziel der Aufstellung heterogener Teams, in denen eine Vielfalt aus Sichtweisen, Erfahrungen, Wissen und Kompetenzen aufeinandertreffen, ist das Fördern von Kreativität und somit das Hervorbringen von Innovationen. Außerdem veranlassen externe Entwicklungen, wie der technologische Fortschritt und die immer älter werdende deutsche Bevölkerung, HR dazu neue Wege im Recruiting einzuschlagen.
Zum einen entstehen teils neue Fachgebiete und damit auch die bekannten „New Jobs“. Um hierfür den Kandidatenpool geeigneter Talente weiter zu öffnen, ist ein Umdenken im Recruiting unerlässlich. Schließlich existieren noch keine vorgefertigten Anforderungsprofile oder ähnliches. Daher sind Unternehmen auch auf kreative Köpfe außerhalb des bekanntes Suchkreises angewiesen (Stichwort Quereinsteiger*innen). Zum anderen ist die Zielgruppenerweiterung durch gelebte Diversität ein Mittel, um den Pool an möglichen Kandidat*innen zu vergrößern.
Fakt ist:
Diversität ist ein Bestandteil im Gesamtkonzept der Unternehmensstrategie und zugleich eine Methode, um Innovationen hervorzubringen. Es reicht aber nicht aus Diversität nur auf dem Papier stehen zu haben und damit zu werben. Die Vision eines diversen Teams mit all seinen heterogenen Facetten und der daraus resultierenden Innovationsfähigkeit muss durch die Kultur im Unternehmen gelebt und gefördert werden. Demzufolge ist eine offene Austauschkultur wesentlich, die es überhaupt erst ermöglicht, dass verschiedene Menschen miteinander arbeiten und Neues entwickeln können.
5. Purpose
Der Unternehmenszweck schließt den Bogen zu den antiken Philosophen. Nachdem die meisten Firmen sich den Trends „beugten“ und in den benannten Punkten nachrüsteten, kommt nun der „finale Endgegner“. Denn der Purpose eines Unternehmens ist tief mit der Sinnhaftigkeit des Tuns verwoben. Diesen Zweck kann sich der Arbeitgeber nicht einfach nachträglich ausdenken, sondern es muss diesen schon von Beginn an gegeben haben. Bislang war dieser nur wenig präsent. Mit der Corona-Pandemie rückt der Sinn der Arbeitstätigkeit nach vorn, denn die Menschen haben auf bislang unbekannte Art miterlebt, welchen Anteil, die eigene Arbeit für die Gesellschaft einnehmen kann. Kurzum: Man hat sich verstärkt Gedanken um „andere“ gemacht.
Anhand von zwei Beispielen lässt sich dies besonders gut zeigen.
- Gesundheitsbranche: Zahlreiche Pflegekräfte und Ärzte haben seit Anfang/Mitte 2020 weit über das „normale“ Pensum hinaus alles für die Behandlung und Versorgung der Patient*innen geleistet. Der bisher eher wenig populäre Beruf von Virolog*innen erreichte eine bis dato unvorstellbare Relevanz für ein ganzes Land.
- Bildungsbereiche: Deutlich wurde der gesellschaftliche Wert der Arbeit unter anderem auch im Bildungsbereich. Die Wertschätzung von Lehrkräften und Erzieher*innen hat sich seit den Schließungen der Schulen und Kitas für viele Eltern grundsätzlich geändert
Fest steht:
Der Wert der eigenen Arbeit ist kein Thema mehr, was nur einen selbst betrifft. Die Pandemie hat das Denken vieler Arbeitnehmer*innen über den Sinn ihrer Tätigkeit in ein neues Licht gerückt. Welchen Zweck erfüllt ein Job und welchen Beitrag leistet man als Arbeitnehmer*in und als Arbeitgeber für die Gesellschaft? Diese Fragen nach dem Purpose sind seitdem wesentlich präsenter. Daher muss sich auch HR diese Fragen stellen und die Sinnhaftigkeit der jeweiligen Vakanzen sichtbar werden lassen, um qualifizierte Kandidat*innen zu rekrutieren.
Die unterschiedlichen Stufen sind selbstverständlich weder einzeln noch als abgeschlossen zu betrachten. Vielmehr ist es ein aufeinander aufbauender Entwicklungsprozess, den die Arbeitswelt durchläuft. Auch wenn bereits einige Zeit vergangen ist seitdem die Trends Work-Life-Balance, Benefits und Co aufkamen, ist ihre Bedeutung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen nicht weniger relevant.
Unsere Learnings
- Die fünf Stufen sind Bestandteil der gesamten HR-Strategie, die nicht wegen des Trend-Faktors an sich Bestandteil dieser sein sollte.
- Auch wenn immer wieder neuen Trends aufkommen, sollten diese nicht als Buzzwords zur reinen Vermarktung verwendet werden, sondern entsprechend in eine langfristige Strategie implementiert werden.
- Keiner der genannten Trends steht für sich. Sie müssen bedacht ein- und umgesetzt werden und sollten im Einklang mit den individuellen Unternehmenswerten stehen.