Aufstieg der Startups
Tischkicker, Bällebad und am Abend gibt es Freigetränke auf der After Work Party. Hierarchien und starre Systeme: Fehlanzeige. Das Arbeiten in einem Startup ist voller Klischees, wodurch der „Hipster-Status“ schwer abzuschütteln ist.
Doch Startups sind mittlerweile eine ernstzunehmende Konkurrenz im Kampf um qualifizierte Talente. Denn seit einigen Jahren reihen sie sich zu den Arbeitgebern, die eine zunehmende Anzahl von Arbeitnehmer*innen beschäftigen. In Deutschland gab es im vergangenen Jahr schätzungsweise 70.000 Startups (je nach Definition) mit durchschnittlich 13 Mitarbeitenden.
Dank immer stärkerer Finanzierung in den letzten Jahren sind Startups in der Lage, auch in puncto Gehalt und Benefits mit den bisherigen Platzhirschen am Arbeitsmarkt, wie z.B. den Automobilherstellern, mitzuhalten. Im Zuge dessen ist das Arbeiten in einem Startup zu einer realen Karriereoption für viele Fachkräfte geworden.
Was ist am Arbeiten im Startup anders?
Natürlich sind einige der eingangs genannten Klischees nicht aus der Luft gegriffen. Viele assoziieren Startups unter anderem mit Innovation, Freiheit und autonomem Arbeiten. Dahingehend orientiert sich auch die Erwartungshaltung potenzieller Kandidat*innen. Sie wollen in einem jungen, dynamischen Umfeld mit flachen Hierarchien und viel Gestaltungsspielraum sich selbst und ihre Ideen verwirklichen. Doch im Startup-Alltag gibt es Herausforderungen, die manche unterschätzen. Schließlich sind Startups keine eigene Gattung. Sondern auch „nur“ ein Unternehmen, welches qualifizierte Fachkräfte braucht, um ihre Visionen Realität werden zu lassen. Was bedeutet das nun für das Recruiting im Startup?
Das Besondere am Recruiting im Startup
Zunächst einmal funktionieren Personalprozesse in einem Startup natürlich wie in jedem anderen Unternehmen auch. Manche Eigenheiten treten jedoch deutlicher hervor.
1. Fast, fast, fast
Zum einen ist es die Geschwindigkeit, mit der Startups wachsen und am Markt agieren. Gründe hierfür sind beispielweise die Wagniskapitalfinanzierung oder das jeweilige Geschäftsmodell. Abhängig von der finanziellen Unterstützung und der Ausrichtung des Business ist es daher durchaus möglich, dass die Teamgröße binnen kürzester Zeit stark ansteigt. Gerade in Startups ist die Zusammenarbeit für den Fortbestand des Unternehmens entscheidend. Jedes Teammitglied ist ein essenzielles Puzzleteil im großen Ganzen – und das direkt von Beginn an.
Konsequenz:
Bei der Auswahl neuer Mitarbeiter*innen ist es dabei besonders wichtig, auf den Cultural Fit zu achten. Denn um gemeinsam an einer Vision arbeiten zu können, müssen die Wertvorstellungen übereinstimmen. Wer ungern bereichsübergreifend oder im Team arbeitet, wird auf beruflicher Ebene keine Zufriedenheit erlangen. Auch der Wille, sich ständig weiterzubilden und sich neue Fähigkeiten anzueignen muss gegeben sein.
2. Chamäleon
Zum anderen unterliegen die Tätigkeitsbereiche und Positionen oftmals kontinuierlichen Veränderungen. So entwickeln sich Aufgaben oder gar ganze Bereiche von jungen Unternehmen ständig fort oder entstehen komplett neu.
Zum Beispiel im Vertrieb: Das Format der Kundenakquise und die Vertriebsstrategie können sich situationsbedingt recht schnell verändern. Waren Messen vor Corona noch Hauptvertriebskanal, stehen nun Telefon und Social Media plötzlich an erster Stelle. Das erfordert natürlich eine andere Arbeitsweise.
Konsequenz:
Potenzielle Kandidat*innen sollten also ein gewisses “Startup-Mindset” mitbringen. Flexibilität und Freude an Veränderung sind hier unerlässlich. Beim Recruiting geeigneter Talente muss daher auf dieses Bewusstsein geachtet werden. Um den Bewerber*innen ein möglichst wahrheitsgetreues Bild zu vermitteln, sollten nicht nur Einblicke in das Hier und Jetzt, sondern auch das „was bisher geschah“ und „was noch kommen könnte“ gegeben werden. So können diese abschätzen, ob die Stelle tatsächlich ihren Vorstellungen entspricht und sie sich dem gewachsen fühlen.
Recruiting im Startup bedeutet daher zuallererst: Den Umgang und die Reaktion potenzieller Kandidat*innen auf sich verändernde Rahmenbedingungen richtig einschätzen zu können. Und natürlich auch den Wunsch bzw. die Bereitschaft der Kandidaten*in, in einem solchen Umfeld (gern) zu arbeiten. Denn sonst wird er oder sie auf Dauer mit ihrem Aufgabenbereich nicht glücklich werden und sowohl Wechselbereitschaft als auch Fluktuation steigen. Eine der zentralen Herausforderung für das Recruiting und später für die Mitarbeiterführung ist demnach nicht nur, den Person-Job-Fit zu identifizieren, sondern vor allem auch immer wieder neu zu bewerten.
3. Auf einer Wellenlänge
Ein weiterer Punkt ist die Erwartungshaltung der Kandidat*innen. Sie haben z.B. den Wunsch, aktiv zu gestalten, Verantwortung zu übernehmen und eine zentrale Rolle zu spielen. Für die Personaler*in ist dabei entscheidend herauszufinden, ob die Fähigkeiten dafür vorhanden ist. Oder ob beide Seiten die gleiche Vorstellung davon haben, was Worte wie Gestaltung, Verantwortung etc. bedeuten. Konkret kann dies im Recruiting-Prozess durch das Abfragen erreichter Meilensteine erfolgen. Dabei kann die Kandidat*in genau darlegen, welche Arbeitsergebnisse sie in vorangegangenen Positionen erreicht hat bzw. welchen Anteil sie selbst an diesem konkreten Arbeitsergebnis hatte (z.B. bei Team-Leistungen). Alternativ kann sich über o.g. Cases ein Bild der Herangehensweise der Bewerbers*in gemacht werden.
In Gesprächen mit Bewerber*innen erleben wir es bei whyapply beispielsweise oft, dass diese mit einer gewissen Vorstellung vom Arbeiten in einem Startup zu uns kommen. Wenn wir dann Beispiele aus dem Arbeitsalltag demonstrieren oder Tools zur Arbeitsorganisation und internen Abläufen erklären, ziehen einige ihre Bewerbung schließlich aufgrund der Diskrepanz zwischen Vorstellung und Realität zurück.
Konsequenz:
Daher sollten die Erwartungshaltungen beider Seiten von Beginn an klar kommuniziert und abgeglichen werden. Sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer*in während der Zusammenarbeit dennoch feststellen, dass diese nicht so übereinstimmen wie gedacht, ist es besser, sich früher als später wieder voneinander zu trennen. Somit wird beiden Seiten die Chance gegeben, das passende Gegenüber zu finden.
4. Show me all
Für das Unternehmen bedeutet dies jedoch auch, dass es sich hier maximal transparent machen muss. Will ich als Arbeitgeber von der potenziellen Kandidaten*in erfahren, welche Erfolge sie in ihrer beruflichen Laufbahn bereits hatte, muss ich natürlich auch erklären, warum ich nach dieser und jener Information frage. Und eine ganz klare Entwicklung sowie einen Fahrplan aufzeigen, damit die Bewerber*innen wissen, was bei dem jeweiligen Job auf sie zukommt.
Schonungslose Transparenz vonseiten des Arbeitgebers hilft den Bewerber*innen zudem, ein unklares Bild der Position, Aufgabe und des Arbeitsumfeldes zu schärfen. Somit kann selbstreflektiert eine Entscheidung bzgl. der beruflichen Zukunft in dem jeweiligen Unternehmen getroffen werden.
Konsequenz:
Dies kann durch Probearbeiten oder Teilnahme an Meetings geschehen. Oder auch durch den Einblick in spezifische Arbeitsaufgaben, d.h. konkrete Cases, die die Kandidat*in z.B. im späteren Verlauf des Bewerbungsprozesses präsentiert bekommt und die dem realen Arbeitsalltag entsprechen (JobChallenges). Das bedeutet zwar einen gewissen Mehraufwand, lohnt sich aber (um Klarheit auf beiden Seiten zu bekommen und so die richtige Entscheidung treffen zu können).
Was HR vom Recruiting im Startup lernen kann
Als Fazit bleibt zunächst einmal eine Hausaufgabe für den Arbeitgeber. Ich brauche eine möglichst klare Kommunikation, die der Kandidaten*in vermittelt, dass auf der jeweiligen Stelle immer mit Veränderungen gerechnet werden muss. Gleichzeitig muss die Arbeitnehmer*in durch den Arbeitgeber eine klare Vorstellung davon bekommen, wohin die Reise gehen kann. Und was sie außerdem dazu braucht, um auf dieser Reise durch seine Arbeit einen möglichst qualitativen Beitrag zu leisten. Sind diese Voraussetzungen beim Arbeitgeber erfüllt, kann man in einem strukturierten Dialog sehr viel besser herausfinden, ob Arbeitnehmer*in und Arbeitgeber auch tatsächlich dauerhaft miteinander glücklich werden.
Meine Learnings
- Schnelle Reaktion auf bzw. Adaption an Neues und Veränderungen sind im Startup essenziell.
- Ehrlichkeit und Transparenz im Bewerbungsverfahren erleichtern die Entscheidungsfindung für beide Seiten.
- Bestenfalls wird den Bewerber*innen die Möglichkeit eines Schnuppertags oder der Probearbeit eingeräumt.