Die Karriereseite ist das Herzstück des Recruitings. Unternehmen investieren zum Teil viel Zeit und Geld, damit die Hauptanlaufstelle von Kandidat*innen wie eine Hochglanzzeitschrift designed ist. Trotz professioneller Bilder vom Team, im modernen Corporate Design und natürlich mobil-optimiert, beklagen sich Arbeitgeber über fehlende Bewerbungseingänge. Was muss die Karriereseite noch können?
Diesem Thema widmen sich Svenja Tränkner von der talentsconnect AG und unser CEO Michael Benz in der Expertendiskussion.
Im Interview mit Svenja Tränkner
Michael: Hallo zusammen, wir haben heute eine ganz besondere Recruiting-Expertin bei uns zu Gast. Ich freue mich sehr, dass ich euch Svenja Tränkner vorstellen darf.
Svenja ist für das Squad Lead Partner Management bei talentsconnect zuständig. Stell dich doch gern einmal kurz vor und verrate uns, was es vor allem mit deinem Jobtitel auf sich hat.
Svenja: Ja, total gerne, ich freue mich auch sehr, hier dabei sein zu können.
Zur talentsconnect AG – wir sitzen mit rund 100 Kolleg*innen in Köln und stellen für unsere Kund*innen den JobShop bereit. Diese nutzen unser Produkt als Karriereseite. Ich selbst bin seit sieben Jahren dabei und habe bis Ende letzten Jahres unser Bestandskundenteam geleitet. Seit diesem Jahr darf ich mit unserem Co-Founder Lars unser Partnermanagement voranbringen.
Michael: Danke dir. Genau deswegen bist du die perfekte Ansprechpartnerin, um über die Karriereseite zu sprechen. Als Aufhänger haben wir uns die Karriereseite als Herzstück von gutem Recruiting gesetzt.
Wir beobachten, dass seit der „Employer-Branding-Diskussion“ einige Unternehmen enorme Mittel und Aufwendungen in die Gestaltung der Karriereseite mit tollen Fotos, Videos etc. investieren. Der Arbeitgeberauftritt auf der Karriereseite wird immer professioneller – was per se ein sehr gutes Zeichen ist.
Nur reicht das aus? Was muss deiner Meinung nach eine Karriereseite beinhalten, damit sie erfolgreich sein kann?
Svenja: Um deine erste Frage „reicht das mit der Karriereseite“ zu beantworten, kann ich sagen – nein. Ich vergleiche das gerne mit dem Bau eines tollen Flughafens, bei dem die Flugzeuge aber trotzdem nicht landen. Das heißt, man braucht eine tolle Karriereseite UND Kandidat*innen, die zu einem (auf die Karriereseite) kommen.
Und zu deiner zweiten Frage „was eine Karriereseite erfolgreich macht“. Da beobachten wir seit ein paar Jahren, dass viel Wert auf die Landingpage gelegt wird, aber es danach – wenn es um die Stellenanzeigen, ATS und den Bewerbungsprozess etc. geht – zu einem Downgrade für die Kandidat*innen kommt.
Deshalb ist es wichtig, zu verinnerlichen, den Job in den Mittelpunkt zu stellen. Ähnlich wie im Onlineshop: Da kaufe ich nicht die Marke, sondern das Produkt der Marke. Das heißt, um erfolgreich zu sein, muss man es schaffen, dass die Kandidat*innen sich für das Produkt/den Job interessieren und eine optimale UX erleben.
Michael: So wie wir das erleben, arbeiten gerade viele Unternehmen an einer neuen Karriereseite. Doch wie du schon sagtest, kommt es zu einem Stil-/Medienbruch, wenn ein bestehendes System, welches nicht automatisch umgestaltet wird, auftaucht – wie das ATS etc.
Gibt es die Möglichkeit, einen smarten Zwischenschritt zwischen cooler Karriereseite und dem zwanghaft nötigen Bewerbermanagementsystem-Login zu integrieren?
Svenja: Ja absolut, da bin ich ganz bei dir. Das Unternehmen muss nicht anfangen von „hinten“ her zu optimieren. Das ATS wurde eingekauft, weil du als Unternehmen den Pain hast und deine Bewerbungen besser strukturieren willst. Was ok ist, aber das darf nicht zum Problem der Bewerber*in werden. Vor allem, wenn du zu wenig Bewerbungen bekommst.
Deswegen ist es viel wichtiger, aus Sicht der Bewerber*in zu denken und sie in den Fokus der Candidate Journey zu stellen. Stichwort Candidate Persona: Wenn man weißt, was meine Zielgruppe braucht und welche Inhalte sie interessiert, kann man seine Karriereseite entsprechend aufbauen.
Und auch hier ist Zielgruppe nicht gleich Zielgruppe. Unternehmen haben in der Regel verschiedene Vakanzen zu besetzen, also muss auch der Prozess zielgruppenspezifisch durchdacht werden.
Michael: Richtig, da kann auch ein vereinfachtes Formular reichen, welches man dazwischenschaltet, das die Kandidat*innen nicht sofort verschreckt. Denn nicht jede Firma kann von jetzt auf gleich über Jahre hinweg gepflegte Systeme umbauen.
Du hast auch gesagt, dass Unternehmen weniger Bewerbungen bekommen. Das ist in nahezu allen Branchen der Fall.
Was rätst du denjenigen, die eine coole Karriereseite haben, welche aber dennoch von niemanden besucht wird? Gerade, wenn man bedenkt, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer*innen zu den passiven Kandidat*innen zählt. Was muss auf dieser Karriereseite sein, damit eine Kandidat*in, die keinen akuten Jobwechselbedarf hat, sich diese trotzdem anschaut?
Svenja: Am besten starte ich mit ein paar Daten dazu, die wir von unseren 250 Kund*innen haben. Auf der Landingpage hält sich eine Nutzer*in im Durchschnitt unter einer Minute auf. Auf einer Jobdetailseite liegt die durchschnittliche Seitenverweildauer hingegen bei mehr als dreieinhalb Minuten. Also wenn HR ihre Bewerber*innen catchen will, dann auf der Jobseite.
Um die latent suchende Zielgruppe anzusprechen, bedarf es auf jeden Fall authentischen Contents. Denn die Kandidat*innen wollen das Unternehmen mit realistischen Inhalten zum Team oder dem Bewerbungsprozess genauer kennenlernen. Eine weitere Erkenntnis, die wir persönlich auch erlebt haben, ist, dass Talente uns ihre Fragen stellen wollen. Es geht hierbei noch gar nicht ums Bewerben an sich, sondern darum, einen Eindruck zu bekommen, wie wir sind und wie wir arbeiten.
Denn die latent Suchenden bewerben sich natürlich nicht gleich heute, aber sie denken zumindest darüber nach, wenn wir als Arbeitgeber überzeugt haben.
Michael: Das ist ja auch ein starkes Umdenken – die Stellenanzeige vor die Karriereseite stellen, oder?
Svenja: Ja, wir sehen da verschiedene Perspektiven, was nicht nur die Herangehensweise betrifft, sondern vielmehr die Verantwortung. Ist die Karriereseite jetzt im Verantwortungsbereich des Marketings, der IT oder gehört sie am Ende doch HR?
Bisher haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich HR hinten angestellt hat. Mittlerweile ändert sich das, weil der Druck auf HR wächst. Das ist eigentlich eine coole Entwicklung, weil sich HR (ihre) Karriereseite zurückholt. Denn HR muss letztendlich geradestehen, wenn die Chefetage fragt, warum es Probleme im Recruiting gibt – und nicht die IT oder Marketing.
Es geht darum, dass HR versteht, dass sie sich damit beschäftigen müssen, ihre Karriereseite so zu gestalten, dass sich Bewerber*innen wohl fühlen. Dazu gehört auch, alle relevanten Inhalte auf die jeweiligen Stellenanzeigen zu packen wie Mitarbeitereinblicke, Kununu etc. – denn hier halten sich die Kandidat*innen am längsten auf. Also müssen alle wichtigen Inhalte auf die Jobseite gepackt werden. Damit verringert HR, dass die Kandidat*innen sich diese Informationen an anderen Stellen zusammen suchen (müssen) und die eigene Karriereseite verlassen.
Michael: Das ist ein toller Claim “HR, holt euch eure Karriereseite wieder zurück!”
Jetzt macht Marketing mit Webseiten etwas, was bei HR noch nicht überall Gang und Gäbe ist. Nämlich sie analysieren die Daten, die nicht nur die Anzahl der Bewerbungseingänge betreffen.
Für viele beginnt die Bewerber*in erst dann zu existieren, wenn die Bewerbung eingeht. Holt sich HR jetzt aber die Karriereseite zurück, muss auch HR die Performance dieser im Blick haben. Damit sind also mehr KPIs gemeint (Seitenverweildauer, Absprungrate usw.). Kannst du einen Einblick geben, welche Kennzahlen gemessen werden sollten?
Svenja: Im Wesentlichen sollte man zwischen Quantität und Qualität unterscheiden. Sprich, will ich die Anzahl meiner Bewerbungen erhöhen oder will ich bessere Bewerbungen bekommen? Geht es darum, Reichweite zu generieren und überhaupt sichtbar zu sein, um Bewerbungen zu bekommen, schaue ich mir folgende quantitativen Zahlen an:
- die Anzahl der Nutzer*innen auf der Seite,
- wie viele davon bewerben sich,
- von welchen Kanälen kommen die Nutzer*innen und
- von welchen Kanälen kommen die Bewerber*innen (das ist ein Unterschied).
Ist man in der komfortablen Situation und bekommt viele Bewerbungen, aber die Qualität ist unpassend, dann würde ich mir qualitative Werte wie:
- Seitenverweildauer,
- welche Inhalte schauen sich die Nutzer*innen an (inhaltliche Analyse),
- wie viele Seiten schaut sich eine Nutzer*in im Durchschnitt noch an (Seiten je Sitzung) und
- Absprungrate.
Michael: Das ist sicherlich ein Feld, was für viele Personaler*innen neu ist. Da kommt ein neues Kompetenzfeld auf HR zu – zumindest in der rudimentären Form der Datenanalyse.
Svenja: Ja, genau. Wir versuchen das unseren Kund*innen so einfach wie möglich zu machen, indem wir in unserem Dashboard alle KPIs erklären und die Zahl im Vergleich zum Marktdurchschnitt setzen. So bekommen unsere Kund*innen ein besseres Gefühl und es ist mehr ein Thema von Education.
Michael: Du hast vorhin die aktiven und passiven Kandidat*innen angesprochen. Wenn eine Nutzer*in die Karriereseite oder Stellenanzeige besucht, weiß man ja nicht, ob diejenige schon gekündigt hat und aktiv auf Jobsuche ist oder nicht.
Das heißt, man kann Klicks nicht mit Bewerbungen gleichsetzen. Vielleicht schaut sich eine passive Kandidat*in die Seite an und bewirbt sich erst in einem halben Jahr – Kündigungsfristen haben wir ja alle. Gibt es einen Trick von dir, wie HR diesen Spagat meistern kann? Also werden Klicks die neue Währung im Recruiting?
Svenja: Wenn wir uns das im E-Commerce-Bereich ansehen, wird mehr von einem Klick-Funnel gesprochen. Geht es darum, herauszufinden, warum ein Onlineshop erfolgreich ist, dann schaut man sich die gesamte Reise vom Kanal bis zum Kaufabschluss an. Aber dazwischen passiert so viel und es gibt viele Zwischenschritte, die man optimieren kann. Und auch das beobachten wir im Recruiting. Das heißt, HR muss in jeder Ebene des Klick-Funnels schauen, was kann noch optimiert werden.
Michael: Das bedeutet im Umkehrschluss man braucht immer ein gewisses Grundrauschen. Also ohne Klicks kann man am Ende auch nicht beurteilen, was läuft gut und was nicht. Die Karriereseite braucht also Traffic.
Svenja: Definitiv. Es geht darum, den Traffic zu optimieren und ohne geht das eben nicht.
Michael: Absolut. Also man kann es nicht oft genug sagen: HR holt euch die Karriereseite zurück, steigert die Interaktionen und analysiert die Daten, um anhand dessen bessere Entscheidungen für eurer Recruiting treffen zu können.
Das nehmen wir gleich als Schlusswort für heute. So schön die Karriereseite auch ist – ohne Traffic kann sie nicht erfolgreich werden.
Ich danke dir sehr, dass du uns heute so viele Insights hast geben konntest.
Vielen Dank fürs Zuschauen!
Hier finden Sie weitere nützliche Beiträge zu diesem Thema:
- Holen Sie das Maximum aus Ihrer Stellenanzeige heraus (Download Checkliste)
- Candidate Journey: So gelingt der optimale Bewerbungsprozess
- Der Karriereseiten-Check (inkl. Checkliste zum downloaden)
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