Das Finden passender Fachkräfte ist eine wahre Mammutaufgabe, der HR häufig alleine gegenübergestellt ist. Doch das muss nicht so sein. Der New-Work-Gedanke lebt es vor und zeigt, ähnlich wie im Tierreich, dass, um zu überleben, man mit dem gesamten Team viel besser dran ist. Wie können Fachbereich und HR zusammen erfolgreich rekrutieren?
Herausforderung im Recruiting: die richtige Zielgruppe erreichen
Wird im Unternehmen eine Stelle vakant, gelangt der Hiring-Auftrag zur Personalabteilung. Jetzt ist es die Aufgabe von HR, die richtigen Kandidat*innen zu adressieren. Aber das scheint häufig nicht so einfach zu sein. Zumindest lässt das eine Untersuchung von Bitkom/Personio vermuten, die über 300 HR-Verantwortliche zu den typischen Gründen befragt haben, weshalb sie Bewerber*innen absagen. Demnach sind es bei 97% der Bewerber*innen die fehlenden Qualifikationen, die dazu führen, dass diese im Bewerbungsprozess nicht weiterkommen. Was können Personaler*innen machen, um mehr passende Kandidat*innen zu bekommen?
Personalgewinnung ist keine One-Human-Show
“Nur, wenn man weiß, wen man sucht, kann man diese Person auch finden.” Diese Weisheit passt ideal in den Bereich der Personalgewinnung. Je mehr Informationen die Personalabteilung über die gesuchte Zielgruppe, beispielsweise durch den Einsatz von Candidate Personas, zur Verfügung hat, umso effektiver kann HR die Recruiting-Maßnahmen auswählen. Die dafür notwendigen Informationen erhalten die Personaler*innen zum überwiegenden Teil von den Fachbereichen.
Durch die Zusammenarbeit von HR und Fachbereich beim Finden geeigneter Talente verschaffen sich alle Beteiligten einen enormen Vorteil:
- HR kann durch detaillierte Profilbeschreibungen die Zielgruppe noch besser verstehen und damit genauer targetieren und
- durch den Einbezug des Fachbereichs die potenziellen Kandidat*innen noch gezielter ansprechen.
Beispiel: Das heißt, wenn in einer Organisation ein neues Teammitglied für den Bereich IT-Support gesucht wird, weiß das Team für den IT-Support am besten, welche Wünsche, Anforderungen etc. die neue Kolleg*in mitbringen sollte. Für die Personalgewinnung bezieht HR demnach die Peer Group (den Fachbereich) mit in die Suche ein. Das hat zur Folge, dass der Fachbereich mehr passende Kandidat*innen erhält. Gemeinsames Recruiting ist also eine Win-Win-Situation!
Recruiting mit der Peer Group – dem Fachbereich
Der Begriff der Peer Group bedeutet so viel wie “Gruppe von Gleichgestellten oder Menschen mit gleichen oder ähnlichen Interessen” (Duden). Im Human Resource Management beschreibt man dieses Vorgehen, das Einbeziehen des Fachbereichs, als Peer Recruiting:
Das heißt, neben der HR-Abteilung werden die Kolleg*innen der Fachbereiche beim Recruiting aktiv mit eingebunden und übernehmen Verantwortung für das Finden und Einstellen neuer Teammitglieder.
Peer Recruiting spiegelt den New-Work-Gedanken der eigenverantwortlichen Teams sehr gut wider. In manchen Unternehmen obliegt die gesamte Verantwortung von der Personalbedarfsanalyse bis zur Entlassung ausschließlich den jeweiligen Fachbereichen. Ein Beispiel dafür ist Sipgate, ein deutsches IT-Unternehmen. Auch wenn das ein außergewöhnliches Beispiel und nicht auf alle Unternehmensstrukturen 1:1 umzusetzen ist, zeigt es dennoch, welche Vorteile es mit sich bringt, den Fachbereich früher und stärker in das Recruiting miteinzubeziehen.
Dafür ist Peer Recruiting ein innovativer Ansatz, der die Personaler*innen vor allem dabei unterstützt, ihre Fachkompetenz noch besser nutzen zu können, indem sie durch den Einbezug des Fachbereichs in den Recruiting-Prozess schneller die richtigen Kandidat*innen erreichen. Das spart nicht nur Zeit, sondern minimiert unter anderem die Fluktuationsrate.
So kann Peer Recruiting funktionieren
Besonders bei der Einführung neuer Prozesse entstehen Reibungspunkte, wie neue Rollen- und Aufgabenverteilungen. Damit solche Change-Management-Prozesse gelingen, sind festgelegte Werte und Richtlinien hilfreich. HR kann beispielsweise bei der Einführung des Peer Recruiting gewisse Strukturen vorgeben, an denen sich die Fachbereiche orientieren können.
Rollenverteilung und Verantwortung
Recruiting mit dem Fachbereich ja! Aber es geht nicht ohne das fachliche Know-how von Personalverantwortlichen, die beispielsweise die psychologische Einschätzung der Bewerber*innen beherrschen oder arbeitsrechtliche Aspekte im Blick haben. HR hat also weiterhin den „Hut auf“ und ist vor allem für die Koordination und Beratung der jeweiligen Fachabteilung im Peer Recruiting verantwortlich.
Zugleich ist es wichtig, Recruiting-Aufgaben auch zum Teil abgeben zu können und in gemeinsamer Verantwortung die Zielgruppe genaustens zu bestimmten und den passenden Recruiting-Maßnahmen-Mix auszuwählen.
Aufgabenverteilung
Fachbereich und HR stimmen sich gemeinsam bei der Erstellung des Anforderungsprofils ab. Dabei sollte der Fachbereich angeben, welche Qualifikationen für die Vakanz besonders wichtig sind und welche ein „Nice-to-have“ sind. Anhand der Prioritätenliste kann HR anschließend besser bei der Vorselektion der Kandidat*innen vorgehen und gezielter die richtigen Talente ansprechen.
Zudem ist es sinnvoll, dass die Beteiligten aus den Fachabteilungen die vakante Position auch in ihren Netzwerken streuen. Schließlich sind sie Teil der Zielgruppe und wissen daher, auf welchen Kanälen sich neue potenzielle Kandidat*innen bewegen und wie sie angesprochen werden wollen. Damit der Fachbereich die Vakanz am besten in dessen Peer-Group-Netzwerk streuen kann, ist er auf die Unterstützung von HR angewiesen (Bild- und Textmaterial, Verlinkungen etc.).
Oftmals kommt es auch vor, dass noch vor der Bewerbung fachspezifische Fragen zu klären sind. Um mit Bewerber*innen fachlich auf Augenhöhe zu kommunizieren, hat die entsprechende Fachexpert*in einen klaren Vorteil gegenüber der Recruiter*in.
Auch im weiteren Verlauf ist eine enge Zusammenarbeit der Stakeholder wichtig. Beispielsweise bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen und der Teilnahme des Fachbereichs, wenn möglich, schon bei den ersten Vorstellungsgesprächen. Je eher und intensiver die Fachabteilung oder eine Vertreter*in aus dem Team in den Prozess einbezogen wird, umso schneller können die gegenseitigen Erwartungen von Kandidat*in und Team abgeglichen werden.
HR
Fachbereich
Formulieren der Stellenanzeige
- Konformität der Corporate Language
- Unternehmensspezifische Richtlinien und Anforderungen
- Fachlicher Input
- Formulierung der Aufgabe und damit verbundenen fachlichen Anforderungen
Auswahl der Maßnahmen
- Einbezug der üblichen Kanäle, die seither A-/B-Kandidat*innen erreicht haben
- Zusätzlich das Nutzen der eigenen Peer-Group-Netzwerke
Auswahl der Kandidat*innen
- C-Kandidat*innen aussortieren
- A-/B-Kandidat*innen bewerten
- A-/B-Kandidat*innen bewerten
Führen der Interviews
- Koordination der Termine
- arbeitsrechtlicher und psychologischer Blick
- Einschätzung der fachlichen Qualifikation
Vertrag
- Erstellen des Vertrages
- Rechtliche Besonderheiten
- Bei Vertragsunterzeichnung vor Ort
Durchführen des Pre- und Onboarding-Prozesses
- Unterstützende Funktion
- Einführung des neuen Teammitglieds in Unternehmensalltag etc.
Herausforderungen für HR und Peer Group
Der Erfolg des gemeinsamen Recruiting hängt von der Zusammenarbeit von HR und Fachbereich ab. Hier sind vor allem Kommunikationsstärke, Transparenz und gegenseitiges Verständnis wichtige Elemente, damit das Peer Recruiting gelingt. Es geht darum, dass alle Parteien in einem gewissen Rahmen eigenverantwortlich arbeiten können, damit beide Seiten voneinander profitieren.
1. Onboarding des Fachbereichs
Eine gute Vorbereitung ist “alles”. Zu Beginn wird es einige Fragen seitens des Fachbereiches geben. Das ist ganz normal – schließlich haben sie in der Regel wenig Berührungspunkte mit dem Fachgebiet der Personalgewinnung. Hierbei sollte HR den konkreten Nutzen (passgenaue Kandidat*innen für deren Vakanzen) betonen, um den Fachbereich zum Mitmachen zu motivieren. Zusätzlich können externe Expert*innen oder Schulungen helfen, das Peer Recruiting zu begleiten.
2. Hilfsmittel
Neben dem Onboarding des Fachbereichs in die HR-Prozesse erleichtern Hilfsmittel das Peer Recruiting. Beispielsweise durch Anleitungen oder Guidelines, wenn die Mitarbeiter*innen über die Vakanz innerhalb ihrer Netzwerke berichten. Wie aus Mitarbeitenden Corporate Influencer*innen werden, haben wir in einem Extra-Artikel näher erläutert. >> zum Artikel.
3. Interne Kommunikation
Je mehr Personen an dem Recruiting-Prozess beteiligt sind, um wichtiger wird die interne Abstimmung. Zum Beispiel wenn es um die Terminfindung für ein Bewerberinterview geht. Die Koordination solcher Termine ist natürlich mit einem etwas höheren Aufwand verbunden, der sich aber definitiv durch die positiven Aspekte des Peer Recruitings lohnt.
4. Prozesse komprimieren
Trotz der intensiveren und früheren Mehrbeteiligung der Akteur*innen sollte darauf geachtet werden, dass die Prozesse, wie Terminabstimmungen o.ä. nicht aus dem Ruder laufen. Kandidat*innen sind rar und bevorzugen schnelle Rückmeldungen. Nicht nur für die Bewerber*innen, sondern auch für HR und Fachbereich ist es ratsam, einen guten Mittelweg zu finden, damit Mehraufwand und Nutzen im Gleichgewicht stehen. Dabei hilft die Arbeit mit Collaboration Tools, wie Slack oder Teams. Aber auch in einigen Bewerbermanagementsystemen gibt es Funktionen, die es HR erleichtern, gemeinsam mit dem Fachbereich Bewerber*innen transparent einzuschätzen.
5. Kooperation
Peer Recruiting funktioniert nur, wenn sich die Beteiligten über die einzelnen Schritte informieren und niemand im Alleingang handelt. Daher spielt die vorherige Rollen- und Aufgabenverteilung eine bedeutende Rolle.
Der Mehrwert von Peer Recruiting
Der Nutzen von Peer Recruiting überwiegt trotz den vorangegangenen Herausforderungen deutlich. Denn die Lage auf dem Arbeitsmarkt beweist, dass Unternehmen zwingend aktiver auf Kandidat*innen zugehen müssen und ihre zur Verfügung stehenden Ressourcen effizienter einsetzen müssen als bisher. Das hat zur Folge, dass Recruiting zielgruppenorientiert eingesetzt werden sollte, um passende Talente anzusprechen. Dafür bedarf es weitaus mehr als das Unterbreiten einer Vakanz. Das Gesamtbild des Arbeitgebers fließt bei der Jobwahl immer stärker mit ein. Neben verschiedenen Benefits rückt zunehmend auch der Purpose in der Tätigkeit in den Vordergrund. All diese Faktoren bestimmen die Entscheidung eines Jobwechsels.
Umso wichtiger werden „Insider-Informationen“. Gemeint sind Tipps über relevante Plattformen, auf denen sich die gesuchte Zielgruppe bewegt. Oder Inhalte, die die potenziellen Kandidat*innen wirklich interessieren. Wer, wenn nicht die eigenen Mitarbeitenden der Fachbereiche könnten diese Fragen besser beantworten. Hier setzt Peer Recruiting an, denn hier wirbt man mit Personen aus der Zielgruppe, neue Kandidat*innen der Zielgruppe für das Unternehmen an. Das heißt, die Zusammenarbeit mit den Mitarbeiter*innen ermöglicht ein zielgruppenorientiertes Targeting und die jobrelevanten Inhalte authentisch zu präsentieren. Teilen Mitarbeitende die offenen Stellen beispielsweise in ihren Netzwerken, „schwebt“ eine Art Gütesiegel darüber. Ganz nach dem Motto: „Wenn die mögliche Teamkolleg*in diese Jobposition publiziert, dann „muss das eine spannende Aufgabe sein“, weil diejenige ja weiß, was einen interessiert – sie ist ja vom Fach.“ Die Zielgruppe vertraut daher dem Fachbereich eher, wenn es um die Aufgabe, den Purpose, einer Vakanz geht.
Nutzen für HR:
- Mit der Zusammenarbeit von HR und dem jeweiligen Fachbereich im Unternehmen, nimmt diese den Personaler*innen zum Teil Arbeit ab. So kann sich HR stärker auf deren Kernkompetenzen, wie Kandidatenansprache und -bewertung konzentrieren.
- Ihre eingesetzten Recruiting- undPersonalmarketing-Maßnahmen erreichen durch das zielgruppengenaue Targeting die richtige Zielgruppe.
- Die Beteiligung der anderen Parteien hilft HR dabei, diese für die Arbeitsmarktsituation zu sensibilisieren und ihnen ihre Herausforderungen verständlich zu erklären (zum Beispiel aktive vs. passive Kandidat*innen).
Nutzen für den Fachbereich (Peer Group):
- Durch die Beteilung am Recruiting-Prozess lernt das Team das neue Mitglied eher, schneller und besser kennen (siehe beispielsweise die Teilnahme an den Interviews).
- Außerdem haben die Fachbereiche mehr Einfluss auf die Wahl der neuen Kolleg*in und können diese aktiv mit beeinflussen, indem sie neben der fachlichen auch die soziale Kompatibilität zum Team prüfen können.
- Das Onboarding der neuen Mitarbeiter*in fällt leichter, da die Gesichter nicht fremd sind. Im besten Fall betreut diese dieselbe Ansprechperson, die bereits in den Vorstellungsgesprächen dabei war.
Nutzen für die Kandidat*innen:
- Sie lernen das Team, die Aufgabe und die Unternehmenskultur von Beginn an authentisch kennen und können ihre Erwartungshaltungen abgleichen (führt zu geringerer Fluktuation).
- Das Peer Recruiting ermöglicht es, nicht nur HR-Fragen, sondern auch fachspezifische Fragen schnell zu klären. So fühlen sich die Kandidat*innen wertgeschätzt.
- Sie erhalten nicht nur vom Fachbereich, sondern von der gesamten Organisation einschließlich der HR-Abteilung einen kompetenten Eindruck.
Unsere Learnings
- Durch die Zusammenarbeit von HR und Fachverantwortlichen ist die Chance, einen hohen Person-Job-Fit sowie passenden Team- und Culture-Fit zu erzielen, wesentlich höher.
- Die Kompetenz von HR, sämtliche Prozesse im Peer Recruiting fachübergreifend zu steuern, lässt ihr die wichtige Beratungs- und Coachingsfunktion zukommen.
- Gegenseitiges Vertrauen und offener, regelmäßiger Austausch zwischen den Teams bilden die Grundpfeiler des Peer Recruitings.