Unter dem Motto “HRunited” befragen wir diese Woche Madeleine Kern, Expertin für herausragende Personalarbeit. Gemeinsam diskutieren wir, warum die Aussage “Es gibt ja sowieso keine IT Professionals mehr” so nicht stimmt und wie besonders kleine Unternehmen zu ihrer passenden Zielgruppe kommen.
Liebe Madeleine, um sich zu Beginn ein Bild von dir und deiner Arbeit zu machen, erklär uns am besten, weshalb du Unternehmen dabei unterstützt, ihre Wunschkandidat*innen zu finden.
Welche Motivation steckt dahinter?
Madeleine: Ich habe festgestellt, dass Bewerber*innen keine Bewerbungsprozesse und Unternehmen keine Personalsuche mögen. Das ist schade, weil ich der Meinung bin, dass Recruiting und Bewerben durchaus Spaß machen. Meine Vision ist es, Personalmarketing in Deutschland zu verbessern und beiden Seiten wieder Freude und Lust an diesen Prozessen näher zu bringen.
Das ist eine großartige und zugleich „kleine“ Mammutaufgabe, da Unternehmen oftmals unter Druck agieren und da bleibt der Spaß im Hintergrund. Lass uns noch bei den Herausforderungen bleiben.
Aus welchen Gründen kommen Unternehmen zu dir? Kennen diese ihre Pain Points bereits?
Madeleine: Ich fokussiere mich auf kleine Firmen, weil diese oftmals keine Personalabteilung oder gar eine einzelne Person haben, die sich um die Personalgewinnung kümmert.
Ich setze bei meiner Beratung daher an der Basis an. Zunächst muss klar sein, wen und was das Unternehmen sucht sowie wie viel Zeit und Geld man für das Recruiting investieren will/kann. Ich arbeite nicht mit Schablonen, sondern schaue mir die Gegebenheiten der Firma ganz individuell an, um herauszufinden, welche Maßnahmen aktuell am sinnvollsten sind.
Oft höre ich „Es gibt ja sowie so keine IT Professionials mehr“. Aber das stimmt so nicht und das versuche ich der Geschäftsleitung zu verdeutlichen. Sicherlich ist der Pool an frei verfügbaren Entwickler*innen gering, aber es gibt auch viele passive Talente, die bei ihrem jetzigen Arbeitgeber unzufrieden und daher wechselbereit sind. Somit richtet sich die eigentliche Frage danach, wie man die Zielgruppe erreicht.
Ich finde, dass viele Arbeitgeber spannende Jobs zu bieten haben, aber das Problem häufig darin liegt, dass die potenzielle Zielgruppe nichts davon weiß, oder wie siehst du das, Madeleine?
Madeleine: Ja, du sagst es. Diese Lücke ähnelt bei manchen Betrieben dem Grand Canyon. Es gibt tolle Jobs und ich glaube, dass es für jede Person die passende Aufgabe gibt. Und daher gibt es beim Thema Sichtbarkeit kleiner Unternehmen noch viel zu tun. Obwohl Unternehmen weder viele Recruiting- noch Marketing-Maßnahmen einsetzen, heißt das nicht automatisch, dass sie unsichtbar sind. Kleine Firmen haben auch Kontakt nach außen. Erst wenn das „nähere Umfeld“ – Bekanntenkreis, Kund*innen etc. – erschöpft ist, kommen diese Unternehmen zu mir.
In der Regel frage ich immer erstmal, welche Kanäle der Betrieb bereits nutzt. Ein ganz einfaches Beispiel sind E-Mails, die eigentlich alle schreiben. Viele kleine Firmen verschenken jedoch das Potenzial, indem sie in ihrer E-Mail-Signatur nicht darauf hinweisen, dass sie Arbeitgeber sind und offene Stellen haben. So simpel das klingen mag, aber auch hierüber wird man in gewissem Maß sichtbarer. Auch das Bekleben von Firmenwagen mit „wir stellen ein“ oder die Erstellung einer eigenen Karriereseite sind leichte Mittel und Wege, um mehr Präsenz zu erzielen. Denn wenn nirgendwo steht, dass ich als Arbeitgeber unbesetzte Vakanzen habe, wird man von außen „nur als Dienstleister“ wahrgenommen.
Du zeigst Unternehmen demzufolge, welche Möglichkeiten sie haben und legst dann gemeinsam den richtigen Recruiting- und Personalmarketing-Mix fest. Dafür muss man sich die Zielgruppe genau anschauen.
Wie gehst du hierbei vor?
Madeleine: Richtig, bevor ich mir u.a. die Stellenanzeige im Detail ansehe, muss erst feststehen, wen meine Kund*innen suchen. Ich nutze hierfür ein Handbuch zur Arbeits- und Anforderungsanalyse. Das bekommen die Unternehmen zugeschickt, weil ich bei einigen Punkten empfehle, die Kolleg*innen zu befragen. Zum Beispiel, um gewissen Kompetenzen, wie eine Programmiersprache, zu bestimmen, die aktuell im Team noch fehlen.
Es gibt auch eine Frage darin, bei der die Unternehmen die Wunschkandidat*in erstellen sollen. Für mich ist wichtig, dass das Bauchgefühl in den Kopf muss. Das hat den Hintergrund, dass man unbewusst aufgrund von Vorurteilen gewisse Personen vor vornherein ablehnt oder bevorzugt. Und das möchte ich vorher identifizieren, um festzustellen, was wirklich für den Job wichtig ist und welche Kriterien für den Team-Fit relevant sind. Und daraus basteln wir im nächsten Schritt die Stellenanzeige.
Was ist dir bei der Stellenbeschreibung besonders wichtig?
Madeleine: Mein Ziel ist, die Stellenbeschreibung so kurz und ehrlich wie möglich zu gestalten. Dabei verzichte ich lieber auf Buzzwords wie Kundenorientierung oder teamfähig. Denn im Vertrieb ist es logisch, dass man kundenorientiert arbeitet. Je besser man die Stelle beschreibt, umso weniger Anforderungen müssen aufgelistet werden. Kleine Weisheit am Rande: Mit der Beschreibung lockt man Kandidat*innen an und mit den Anforderungen schreckt man sie ab.
Das ist wohl wahr. Man kennt auch Stellenanzeigen, die eine Art 20-Punkte-Liste beinhalten. Aber nicht alle sind gleichermaßen wichtig.
Wie findest du heraus, welche Anforderungen wirklich relevant sind?
Madeleine: Dazu gibt es auch einen Bereich in dem Handbuch, bei dem die Unternehmen aufstellen sollen, welche Aufgaben täglich, wöchentlich, quartalsweise und jährlich zu erledigen sind. Am Ende bleiben fünf bis sieben Punkte stehen, die die Stelle passend beschreiben. Manche sind auch schon nach drei Punkten fertig – das variiert je nach Stelle. Zum Schluss muss ein rundes, stimmiges Jobprofil stehen, dass den täglichen Arbeitsalltag widerspiegelt.
Weniger ist also mehr. Welche Aspekte sind für dich noch bei der Suche nach passenden Talenten hilfreich?
Madeleine: Informationen zur Arbeitsweise. Damit meine ich, dass man den Kandidat*innen einen realen Einblick in die Arbeitskultur ermöglicht. Denn agile Arbeitsweise hat für jeden von uns eine unterschiedliche Bedeutung. Deshalb ist es mir wichtig, dass die Unternehmen ehrlich sagen, was neue Teammitglieder tatsächlich bei ihnen erwartet. Zum Beispiel, wenn zum Arbeitsalltag ein Daily Standup gehört oder mit einem Ticketing-System gearbeitet wird. Die toll klingenden Schlagwörter sollten unbedingt wahrheitsgemäß erklärt werden, weil sie bei jedem Betrieb verschieden sind.
Warum ist Authentizität im Recruiting von so großer Bedeutung für dich?
Madeleine: Das ist ganz einfach, weil Arbeitgeber dadurch die richtigen Talente anlocken. Denn nur die, die sich mit dem Job und dem Unternehmen identifizieren können, bewerben sich auch. Stichwort: Selbstselektion.
Du sagst es – eine Win-Win-Situation, die sich im besten Fall dadurch ergibt, dass die Anforderungen und Aufgaben des Jobs sowie der Recruiting-Mix passen.
Schließlich geht es nicht darum, möglichst viele Talente zu erreichen, sondern genau die richtigen Personen zu identifizieren und denen gezielt den Job zu verkaufen.
Madeleine: Richtig! Daher sage ich auch immer: Sei ehrlich und konkret – alles andere fliegt sowieso auf. Denn nur wenn du weißt, was du suchst – kannst du auch bekommen, was du willst. Anders funktioniert es nicht. So wird die Qualität der Bewerbungen besser und man spart Zeit. Denn auch nicht geeignete Kandidat*innen beanspruchen Arbeitszeit. Im Schnitt fünf bis zwanzig Minuten, die vom Anklicken der E-Mail bis zur Absage locker vergehen.
Welcher Bedeutung misst du außerdem der Präsenz der Arbeitgeber innerhalb der Zielgruppe bei?
Madeleine: Natürlich ist die Außendarstellung wichtig. Sei es über die Webseite oder Social Media etc. Häufig unterscheiden sich die Kundengruppen von den Bewerbergruppen, daher sollte man wissen, auf welchen Kanälen die jeweilige Zielgruppe erreichbar ist und den Content entsprechend anpassen. Dazu kann man die Customer bzw. Candidate Persona super nutzen. Ganz ohne Außendarstellung wird es schwierig.
Welche Maßnahmen sind zwingend notwendig, um die Sichtbarkeit zu steigern – gerade bei kleinen Unternehmen und/oder begrenzten Budget?
Madeleine: Ich schau mir immer die Stellenanzeige an, weil sie die Grundlage schafft. Dann geht es um die Karriereseite. Heißt: Ist die Karriereseite schon vorhanden? Sind dort die offenen Stellen und die Unternehmenskultur sichtbar? Wenn nicht, sollte das unbedingt angegangen werden. Danach rücken weitere Einblicke in die Unternehmenskultur durch Mitarbeiterstimmen und Testimonials in den Fokus. Damit potenzielle Bewerber*innen sehen, wer die künftigen Kolleg*innen sind und was diese im Unternehmen für Aufgaben haben. Danach kommen Social-Media-Profile, die kontinuierlich und nachhaltig mit Content bespielt werden müssen.
Zudem gibt es noch bezahlte Anzeigen auf Social Media, Video- und Audio-Formate und viele andere tolle Möglichkeiten Job-Content zielgruppenspezifisch zu streuen. Das kommt meist für Firmen in Frage, die mehr als ein bis zwei neue Mitarbeitende im Jahr einstellen wollen.
Die Auswahl ist wirklich groß. Natürlich spielen Zeit und eigenes Knowhow hierbei eine Rolle, aber dafür gibt es verschiedene Anbieter, die den Unternehmen dabei helfen, ihr Recruiting und Employer Branding voranzubringen.
Hast du dennoch das Gefühl, dass gerade kleine Betriebe meinen, stets im Schatten der Big Player zu stehen und gar keine Chance haben, auf dem Arbeitnehmermarkt wahrgenommen zu werden?
Madeleine: Ich komme ursprünglich von einem Riesenkonzern und verstehe die Frage daher sehr gut. Und auch wenn einige Firmen glauben, eine geringere Chance zu haben, gutes Personal zu finden, weil sie vielleicht nicht das Gehalt bieten können wie manches DAX-Unternehmen, kann ich dem beruhigend entgegenwirken. Denn Geld ist nicht alles. Das Arbeiten bei einem Big Player ist ganz klar ein anderes, aber es ist per se weder besser noch schlechter. Jede Unternehmensgröße hat seine Vor- und Nachteile.
Zum Beispiel kann man sich in einem Startup die IT-Ausstattung selbst aussuchen und wenn ein Teammitglied für ein reibungsloses Homeoffice einen Schreibtischstuhl oder ähnliches braucht, ist das kein Problem und vor allem schnell gelöst. Solche individuellen Anfragen sind im Konzern nicht möglich – da herrschen andere Strukturen und Prozesse. Das ist ein absolut wertvoller Vorteil von kleinen Firmen und das wird in der Belegschaft anerkannt. Da gibt es noch viele weitere Beispiele, Firmenwagen, Versicherungen, Kinderbetreuung etc. Diese Flexibilität kleinerer Unternehmen macht diese enorm attraktiv als Arbeitgeber.
Und meine Aufgabe ist eigentlich nur, dem Arbeitgeber zu sagen, dass das ein tolles Argument ist, sich bei dir zu bewerben – also mach damit „Werbung“.
Ein typisches „Understatement-Phänomen“. Man hat (noch) keine starke Employer Brand und dann trauen sich die Arbeitgeber nicht oder sind sich dessen gar nicht so bewusst, welche coole Benefits sie haben und dass sie damit sehr wohl einen Wettbewerbsvorteil haben.
Zu guter Letzt habe ich noch eine Frage an dich:
Welche Tipps möchtest du den Personalabteilungen und Personaler*innen da draußen ans Herz legen?
Madeleine:
- Adressiere zielgruppengenau, um Streuverluste zu minimieren.
- Positioniere dich als Arbeitgeber und stelle deine Besonderheiten heraus.
- Frage deine Mitarbeiter*innen, weshalb sie bei dir arbeiten.
- Beziehe die Kolleg*innen mit in den Recruiting-Prozess ein.
- Bewirb dich „einmal“ bei dir selbst.
- Sei nett! Ein wertschätzender Umgang mit Bewerber*innen hilft bessere Empfehlungen zu bekommen, selbst wenn man die Bewerber*in nicht einstellt.
Wow, danke für deine wertvollen Anregungen und jeder davon ist auch gleichzeitig ein Ansatz, um die Recruiting-Strukturen zu verbessern.
Schön, dass du dir die Zeit genommen hast uns mit in deine Personalmarketing-Welt zu nehmen. Danke Madeleine! 😊
Über unsere Interviewpartnerin:
Madeleine Kern lebt und liebt herausragende Personalarbeit und gründete 2019 ihr eigenes Unternehmen “Personalmarketing Kern”.
Sie unterstützt kleine Unternehmen mit Workshops und Beratung, deren Stellenanzeigen und Arbeitgebermarke zu optimieren, sich bestmöglich bei potenziellen Bewerbern zu positionieren und somit die passenden Kandidaten zu finden. (www.pm-kern.de )
Was ist HRunited?
Digitalisierung, Fachkräftemangel, demographischer Wandel: HR steht derzeit vor vielen Hürden, die eine Personalabteilung nicht allein lösen kann. Wir wollen Unternehmen durch die Krise helfen. Und weil es nicht das EINE Tool dafür gibt, bieten wir nun verschiedenen HR-Expert*innen eine Plattform, um zum einen ihre Erfahrungen und Probleme, aber auch ihre Tipps und Tricks zu teilen.