Im Interview mit Christian Klenner
Christian: Wir sind eine klassische Personalberatung und fokussieren das Thema Digitalisierung. Hierfür suchen wir die Entscheider*innen und konzentrieren uns dabei auf die direkte Ansprache potenzieller Kandidat*innen.
In den letzten sechs bis neun Monaten haben wir beobachtet, dass sich der Arbeitsmarkt nochmal deutlich verschärft hat. Das merken unsere Kund*innen und auch wir erheblich
Michael: Ich schätze daher, dass ihr aufgrund dieser Situation ausreichend Aufträge bekommt, richtig?
Christian: Genau, die Nachfrage steigt. Der Flaschenhals ist eher auf Kandidatenseite – sprich die passenden Talente zu finden, die letztendlich wechseln wollen.
Michael: Momentan wird an mehreren Stellen die angeblich hohe Wechselbereitschaft der Kandidat*innen betont. Die Datenlage und Gespräche mit Recruiting-Verantwortlichen zeigen jedoch ein anderes Bild – Bewerbungseingänge sind eher rückläufig und die Zögerlichkeit der Kandidat*innen ist deutlich spürbar.
Wie bewertest du die Effektivität von Stellenanzeigen, wenn wir trotz Allzeithoch bei der Anzahl veröffentlichter Stellenanzeigen auf immer weniger wechselwillige Kandidat*innen treffen?
Michael: Die Nachfrage ist enorm. Diese Dringlichkeit führt unter anderem dazu, dass das organische Posten von Stellenanzeigen auf LinkedIn und XING zunimmt. Die Umsetzung ist einfach, schnell und kostenfrei. Aber führt dies nicht einfach nur zur Verlagerung des Problems? Schließlich ist die Jobbörse nicht das Problem – sondern die Art der Kandidatenansprache.
Christian: Absolut – es scheint mir, als wäre das das Opium der Recruiter*innen. Denn man nutzt scheinbar das Recruiting der nächsten Generation, fernab von Post & Pray. Doch das ist ein Trugschluss – auch wenn man meint, aktiv etwas zu tun. Die Mechanismen bleiben die gleichen – egal, ob man einen anderen Kanal nutzt. Wir sehen das am Beispiel der Direktansprache. Je nach Themenfeld bekommen die Kandidat*innen zehn bis 20 Anfragen in der Woche. Daher geht es darum, sich von der Konkurrenz abzuheben und aufzufallen.
Michael: Welche Ansprache braucht es deiner Meinung, um aus der Masse herauszustechen? Wonach entscheidet die passiven Kandidat*innen am Ende?
Christian: Ausschlaggebend ist der Blumenstrauß – also das Orchestrieren verschiedener Maßnahmen, sei es Headhunting, Stellenanzeigen, Employer Branding usw. Wichtig ist meiner Ansicht nach eine zielgerichtete Ansprache, statt ein Template zu haben und das X-Mal rauszufeuern. Klar nutzen wir auch Vorlagen und Standards, aber auch diese können individuell angepasst werden. Dafür muss man auch in die Kandidatenwelt eintauchen, um herauszufinden, was der- oder diejenige überhaupt von einem neuen Job erwartet.
Michael: Wenn ich dich richtig verstehe, ist die Individualität eine Schlüsselkomponente. Wie bringt man diesen Kandidatenwunsch in Einklang mit dem enormen Fach- und Führungskräftebedarf in Kombination mit standardisierten Stellenanzeigen?
Christian: Ehrlich gesagt, bekomme ich das nicht in Einklang. Auf der einen Seite die rund 1,7 Mio. Vakanzen und auf der anderen Seite ein träger Bewerbermarkt – zumindest, was das Lesen von Anzeigen angeht und das aktive Bewerben. Für mich wird es immer wichtiger werden, in den Communities wie zum Beispiel in Fachforen oder, sobald möglich, wieder in Persona präsent zu sein. Auch die Nutzung von Talent Management und Talentpools spielt eine große Rolle. Entscheidend ist hierbei, die Kandidat*innen mit Mehrwert zu füttern und ihre Entwicklungen mitzuverfolgen.
Michael: All diese Punkte sind mit Mehraufwand und zusätzlichen Ressourcen verbunden. Da schlägt die ein oder andere Personaler*in die Hände über dem Kopf zusammen – was sagst du denen?
Michael: Jetzt könnte man sagen, dass du es im Executive Search einfacher hast. Führungskräfte haben eine klare Karriereerwartung. Nehmen wir mal das Beispiel Buchhalter*in. Hier ist die fachliche Spezialisierung fix, aber es gibt keinen „Karrieredruck“. Die Position CFO wäre einfacher zu besetzen, weil die Person klare Absichten verfolgt. Merkst du diesen Unterschied?
Christian: Ja, definitiv. Wenn wir eine Geschäftsführung suchen, brauche ich nicht viele Worte zu verlieren. Da sind Rücklaufquote und Anzahl an Gesprächen deutlich höher als wenn ich eine Cloud-Architekt*in suche. Hier geht es wieder um den Mehrwert – warum sollte die Kandidat*in dasselbe bei einem anderen Arbeitgeber machen und deswegen wechseln?
Insofern bin ich tatsächlich in einer komfortableren Lage. Nichtsdestotrotz ist die Zielgruppe wesentlicher geringer als im Volumen-Recruitment.
Michael: Genau, es ist der Grund – das Warum sollte ich wechseln. Denn die Wenigsten haben einen akuten Schmerz, um zu wechseln.
Der demographischen Entwicklung geschuldet, verlassen uns in den kommenden Jahren ja auch noch die Babyboomer. Wenn du auf die nächsten Jahre blickst, wie sieht die Zukunft der standardisierten Ansprache aus?
Christian: Wie die Zukunft aussehen wird, ist bekanntlich schwer vorherzusagen. :D Schon 2019 mit Google for Jobs hatte man die Befürchtung, dass Stellenanzeigen aussterben werden. Man dachte, dass das Jobposting revolutioniert wird.
Michael: Und die Revolution ist ausgeblieben. 😀
Michael: Die Auswahl an Maßnahmen und Dienstleistungen ist gigantisch – aber hilft viel auch viel?
Christian: Der Blumenstrauß muss schlau im Sinne der Zielgruppe gewählt werden. Maßnahmen sollten also gezielt ausgewählt werden, denn es gibt einen Unterschied zwischen effektiv und effizient.
Das Spannende daran ist, dass die Stärke des Bewerbermarkts eine gewisse Innovationspflicht hervorruft. Und das betrifft alle Arbeitgeber – auch die mit einer starken Employer Brand blicken nicht mehr auf eine lange Schlange an Kandidat*innen, die vor ihrer Tür stehen. .
Michael: Als Zusammenfassung kann man also festlegen, dass man sich im Recruiting, Personalmarketing und Employer Branding nicht auf das Geißkannen-Prinzip setzen sollte. Vielmehr verhilft einem ein zielgruppenspezifischer Mix an Maßnahmen, um Talente zu erreichen und zu begeistern.
Damit bedanke ich mich ganz sehr bei dir. Vielen Dank, dass du uns Einblicke in deine Erfahrungen und deinen HR-Alltag gegeben hast.
Christian: Lieben Dank euch und bis bald! 🙂