Talent Acquisition ist mehr als ein hipperes Wort für Recruiting. Hinter dem Stichwort versteckt sich eine langfristige Strategie, mit der es Unternehmen gelingen soll, im aktuellen Arbeitnehmermarkt die Krone zu behalten. Wir zeigen, wie Planung zum Gewinn führen kann.
Der Kampf um geeignete Fachkräfte
Die Stichworte Fachkräftemangel, Arbeitnehmermarkt oder War for Talents versprechen alle den gleichen Trend. Nicht mehr der Arbeitgeber, sondern die Kandidat*innen sitzen am längeren Recruiting-Hebel. Eine Studie der Manpower Group ergab, dass mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen Schwierigkeiten mit dem Finden geeigneter Fachkräfte haben. Die Folge: Unternehmen müssen ihren Recruiting-Prozess anpassen, um gegenüber der Konkurrenz herauszustechen und bei der Suche nach “der Nadel im Heuhaufen” keine wertvollen Ressourcen wie Geld oder Zeit zu verschwenden.
In diesem Kontext ist oft von “Talent Acquisition” die Rede – ein Begriff, der stark nach einem hipperen Synonym für Recruiting klingt. Tatsächlich verspricht Talent Acquisition mehr als “bloßes” Recruiting. Bestens geeignete Kandidat*innen können nicht nur effektiv erreicht, sondern quasi magnetisch angezogen werden. Ein Hexenwerk?
Recruiting vs. Talent Acquisition
Grundsätzlich kann man den Unterschied zwischen Talent Acquisition und Recruiting relativ einfach beschreiben. Nehmen wir als Beispiel eine Hochzeit: Recruiting wäre hier der Part, in dem die Einladungen verschickt werden, plus der Empfang der Gäste am Tag der Hochzeit.
Zu Talent Acquisition gehört einiges mehr: Die Entscheidung darüber, wer überhaupt eingeladen wird (mit Blick auf den bereits definierten Freundes- und Bekanntenkreis), die gesamte Organisation, damit sich die Gäste wohl fühlen (beispielsweise ein gutes Catering, eine ansprechende Location und eine Hüpfburg für die Kinder), die Erstellung des Sitzplans (die Stimmungsmacher sollen bestenfalls auf alle Tische verteilt werden 😉) und im Endeffekt die gesamte Hochzeitsfeier, samt Polterabend und Junggesellenabschied.
Man sieht: Im Talent Acquisition ist Recruiting nur ein kleiner Teil eines größeren und komplexeren Prozesses.
Und das bedeutet...?
Man stelle sich einen Recruiting-Prozess vor, bei dem gezielt nach Personen gesucht wird, die bestens für die Vakanz geeignet sind und deren Persönlichkeit außerdem zur Unternehmenskultur passt. Auf den ersten Blick mag das nach Überstunden für die HR-Abteilung klingen. In Wirklichkeit ist das aber genau das, was mithilfe von Talent Acquisition vermieden werden soll.
Ein Unternehmen kann Recruiting betreiben, ohne eine Talent–Acquisition–Strategie zu besitzen. Andersherum ist das nicht möglich. Das “bloße” Recruiting ist im Vergleich ein deutlich schnellerer und kurzlebigerer Prozess. Hier wird meist darauf abgezielt, offene Vakanzen möglichst zeitnah zu besetzen.
Recruiter*innen mit einer Talent–Acquisition–Strategie setzen dafür auf einen langfristigeren Weg. Ziel ist es, einen Plan zu entwickeln, mit dessen Hilfe sie nicht (unbedingt) die besten Talente auf dem Markt, sondern die besten Talente für den Betrieb finden.
Um eine solche Strategie zu entwickeln, müssen Personaler*innen sich zuerst tiefer mit dem Unternehmen und den erwünschten Kandidat*innen befassen. Hier stehen die Ziele und die Kultur des Unternehmens, sowie die Employer Brand und die Candidate Journey im Vordergrund. Insgesamt ist Talent Acquisition also ein Mix aus Recruiting, Personalmarketing und Bewerbungsmanagement.
Warum machen sich Unternehmen diesen Mehraufwand?
Wer unerwartet eine Vakanz ausschreiben muss, beispielsweise durch eine plötzliche Kündigung, und diese auch noch schnell besetzen will, wird vorher keine komplexe Acquisition Strategy aufstellen. Wer jedoch hoch qualifizierte Mitarbeiter*innen einstellen möchte, die außerdem gut in das Unternehmen passen und dort auch bleiben sollen, sollte eine Talent–Acquisition–Strategie in Erwägung ziehen. Das lohnt sich besonders für Nischenmärkte, die schnell vergriffene Spezialist*innen suchen.
So werden in einem Talent Pool beispielsweise geeignete (und zum Unternehmen passende) Kandidat*innen gesammelt, die direkt angesprochen werden können, wenn eine Vakanz im Unternehmen frei wird. Dadurch, dass das Unternehmen die Beziehung zu den potenziellen Bewerber*innen auch über längere Zeit hinweg pflegt, werden diese nachhaltig an die Arbeitgebermarke gebunden. Die Kommunikation einer attraktiven Employer Brand nach außen hilft hier dabei, den Talent Pool zu füllen. Und schließlich führt eine positive Candidate Experience dazu, dass Bewerber*innen den Prozess beenden und nicht frühzeitig abspringen.
Wie kommt dieser “Magnet-Effekt” zustande?
Nach einer Studie von Stepstone achten 93% der Kandidat*innen auf den Cultural Fit, bevor sie sich auf eine Stelle bewerben. Im Kontrast dazu haben sich jedoch nur 60% der Unternehmen konkret mit der Unternehmenskultur auseinandergesetzt. Und nochmal zwanzig Prozent weniger stellen diese überhaupt auf der Karriereseite dar.
Unternehmen mit einer Talent–Acquisition-Strategie machen genau das: Sie setzen sich mit dem eigenen Haus und deren Mitarbeiter*innen auseinander und kommunizieren die hauseigene Kultur nach außen. Die Folge: Das Unternehmen sammelt Pluspunkte bei den Kandidat*innen.
Außerdem, quasi als “Cherry on top”: Im Recruiting wird Zeit gespart. Denn fast 90% der Arbeitgeber geben als Grund für die Ablehnung von Bewerber*innen an, dass diese nicht zur Unternehmenskultur passen. Gibt man den Kandidat*innen vor der Bewerbung die Chance, selbst du entscheiden, ob ein Cultural Fit besteht oder nicht, kann hier sehr gut im Vornerein selektiert und damit gespart werden.
Warum Talent Acquisition nicht nur “gut klingt”
Neben dem offensichtlichen positiven Effekt für die Bewerber*innen, können Unternehmen auch an anderen Punkten von ihrer Talent–Acquisition–Strategie profitieren:
1. Brennpunkt: hohe Fluktuation im Unternehmen
Vier von zehn Mitarbeiter*innen denken oft darüber nach, zu kündigen – das ergab eine aktuelle Monster-Studie. Ein Mitarbeiterwechsel kann zwar durchaus auch frischen Wind in das Unternehmen bringen – dieser kann allerdings bei hoher Fluktuation schnell zu einem kalten Schauer entarten.
Auf der Liste der Nachteile steht nicht nur der Hinweis auf eine geringe Arbeitgeberattraktivität, sondern auch zusätzliche Kosten, ein erhöhter Zeitaufwand durch das Recruiting und Onboarding der neuen Mitarbeitenden und ein Verlust von Qualität und Produktivität im Team.
Wie Talent Acquisition helfen kann:
Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer*innen geben als Kündigungsgrund einen unpassenden Cultural Fit an. Durch die Förderung der Unternehmenskultur und der offenen Kommunikation dieser, wissen Kandidat*innen, was sie zu erwarten haben. Die Folge ist sowohl einfach als auch logisch: Die Mitarbeiter*innen haben es einfacher, sich im Unternehmen einzuleben. Außerdem sind sie durch die passende Kultur rundum zufriedener, loyaler und motivierter.
2. Brennpunkt: Zeitmangel im Recruiting
Lange Zeit wurden viele Bewerbungen als ein Zeichen für einen funktionierenden Recruiting-Prozess bewertet. Dabei sieht die Realität anders aus. Viele Bewerber*innen bedeuten gleichzeitig einen hohen Aufwand bei der Personalauswahl und sagen zudem nichts über ihre Eignung für die Stelle aus. Eine Milchmädchenrechnung dafür findest du hier.
Entscheidender als die Quantität sollte immer die Qualität der Kandidat*innen sein. Auch die Time-to-Hire stellt für immer mehr Personaler*innen ein Problem dar. Während 2010 im Durchschnitt noch 57 Tage gereicht haben, um eine Vakanz zu besetzen, waren es 2019 schon 124 Tage. Bleiben Stellen zu lange unbesetzt, können hier Produktionsausfälle und Umsatzeinbußen die Folge sein.
Wie Talent Acquisition helfen kann:
Der Recuiting-Prozess wird durch Talent Acquisition gleich aufgrund von mehreren Aspekten optimiert. Zum einen können Recruiter*innen durch das Sammeln geeigneter Kandidat*innen in einem Talent Pool auf genau diese zurückgreifen, sobald eine Stelle im Unternehmen frei wird. Das bedeutet vor allem weniger Zeitaufwand bei der Kandidatensuche und damit gleichzeitig eine geringere Time-to–Hire – schließlich hat man bestens geeignete Arbeitnehmer*innen bereits in der Hinterhand.
Gleichzeitig sind die Bewerbungen entsprechend hochwertig: die Kandidat*innen im Talent Pool passen bestens zum Unternehmen, sowohl im Rahmen ihrer Soft als auch ihrer Hard Skills.
3. Brennpunkt: Arbeitsklima und Produktivität
Ein gutes Arbeitsklima: Das bedeutet motivierte Mitarbeiter*innen, die gerne im Betrieb arbeiten und sich bestenfalls gegenseitig antreiben. Laut dem “Meaning of Word Report 2020” ist Arbeitnehmer*innen in Deutschland ein gutes Arbeitsklima sogar wichtiger als ein hohes Gehalt – gleiches gilt für “Spaß” im Arbeitsumfeld. Und wer zufriedene Mitarbeitende hat, erreicht meist auch bessere Ergebnisse. Unternehmenserfolg ist schließlich ein Gemeinschaftsprojekt 🤝
Wie Talent Acquisition helfen kann:
Talent Acquisition erreicht Kandidat*innen und später Mitarbeiter*innen, die in das Unternehmen und in die für sie vorgesehene Rolle passen. Und wer die Unternehmenswerte nicht nur kennt, sondern sich auch mit ihnen identifizieren kann, ist vor allem eines: zufrieden mit dem, was tagtäglich getan wird. Die Einsatzbereitschaft ist höher und dadurch, dass alle am selben Strang ziehen, verlaufen Teamarbeiten effizienter und harmonischer. Insgesamt bietet eine Talent–Acquisition–Strategie also die besten Voraussetzungen für ein harmonisches Arbeitsklima.
Unsere Learnings
- Wer eine Talent-Acquisition-Strategie verfolgt, geht über das bloße Recruiting hinaus: Vor diesem Schritt muss das Unternehmen eine Strategie mit Blick in die Unternehmenskultur entwickeln, einen Talent Pool erstellen, den Kontakt zu den darin enthaltenden Kandidat*innen pflegen und die attraktive Employer Brand nach Außen kommunizieren.
- Eine Talent-Acquisition-Strategie lohnt sich für das Einstellen hochqualifizierter Mitarbeiter*innen, die langfristig im Unternehmen bleiben sollen.
- “Bloßes” Recruiting ist für die schnelle Besetzung unerwarteter Vakanzen geeignet.
- Talent Acquisition ermöglicht einen hohen Cultural Fit, also Mitarbeiter*innen, die sich mit den Unternehmenswerten und der -kultur identifizieren können. Das wirkt sich wiederum zugleich auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen aus.