Tech Recruiting wird häufig als eine besondere Form der Personalgewinnung angesehen. Besonders, weil es einerseits eine der gefragtesten Zielgruppen überhaupt ist und andererseits, weil der fachliche Aspekt bereits bei der Auswahl des passenden Recruiting-Mix eine zentrale Rolle spielt. Wie geht powercloud diese Herausforderung an und gewinnt passende IT-Talente – mehr dazu im Interview.
Im Interview mit Alexander Türpe
Michael: Wake up, HR! Ich habe heute einen Gast mitgebracht, der uns als whyapply schon lange kennt – Alexander Türpe von powercloud. Powercloud ist ein Softwareunternehmen in der Energiebranche und seit Jahren stark am Wachsen, weshalb Alexander im Recruiting natürlich viel zu tun hat. Umso mehr freue ich mich, dass wir heute Zeit gefunden haben, miteinander über ein sehr wichtiges Thema zu sprechen: Tech Recruitment. Guten Morgen Alex!
Alexander: Ja guten Morgen, vielen Dank für die Einladung.
Michael: Du warst mit powercloud einer unserer ersten Pilotkunden vor vier Jahren – damals noch in der frühen Beta-Phase von whyapply. Und ich habe nachgeschaut – mit euch haben wir unsere JobChallenges erstmals bei Entwickler*innen ausprobiert. Und das passt heute auch perfekt zu unserem Thema.
Kannst du uns einmal kurz abholen, an welchem Punkt powercloud war, als du 2018 dort im Recruiting angefangen hast?
Alexander: Wir waren damals zwölf Mitarbeiter*innen und drei externe Personen und heute stehen wir bei 275 Kolleg*innen plus 70-80 externe Unterstützer*innen. Da hat sich ein bisschen was getan.
Michael: Wahnsinn! Das heißt, ihr habt in vier Jahren 250 Leute eingestellt. Wie viele davon sind Entwickler*innen?
Alexander: Grob geschätzt haben wir circa 40 bis 50 Entwickler*innen in unserem Team.
Michael: Wie ist es dir gelungen, diese Talente zum Jobwechsel zu euch zu motivieren?
Alexander: Glücklicherweise nicht alleine – da gehört mein ganzes HR-Team dazu. Darüber hinaus haben wir eine sehr gute Zusammenarbeit mit den anderen Fachbereichen im Unternehmen, was für das Recruiting sehr hilfreich ist. Denn, wenn man seine Zielgruppe versteht und dessen Bedürfnisse kennt, macht es das einem einfacher, die Motivation, zu uns zu wechseln, auszulösen oder anzukurbeln.
Allgemein gibt es keine pauschale Antwort dafür, sondern es ist immer ein Mix aus verschiedenen Dingen. Einerseits bewerben sich Kandidat*innen „von selbst“ bei uns, weil unsere Employer Brand immer größer wird und die Zielgruppe uns dadurch stärker wahrnimmt. Andererseits sind es die Aufgaben, die die Bewerber*innen bei uns schätzen. In der Energiebranche herrscht ein großer Bedarf an Digitalisierung und Innovation. Und gerade dieses Wachstum in der Branche finden viele interessant, weil sie sehen, dass sie hier auch etwas bewegen können.
Michael: Erlebst du das aktiv, dass Techies diesen Purpose – die Modernisierung in der Energiebranche – so äußern?
Alexander: Ja, auf jeden Fall. Natürlich gibt es viele Treiber, die Menschen motivieren, etwas zu tun. Bei manchen ist es der finanzielle Faktor oder der Wunsch, Karriere zu machen und tolle Jobtitel zu haben – da muss man auch einfach ehrlich sein. Vielen Leuten geht es aber darum, etwas Sinnvolles zu tun.
Michael: Es gibt ja das IKIGAI-Modell, welches sich mit dem Purpose beschäftigt. Ich erinnere mich noch an eine Plakat-Kampagne von euch in der Leipziger Innenstadt für PHP-Entwickler*innen. Im ersten Moment habe ich mich gefragt, ob da der Streuverlust nicht sehr groß ist. Wie richtest du deine Recruiting-Maßnahmen an der Zielgruppe und eben diesem IKIGAI-Modell aus?

Alexander: Ich war tatsächlich erstaunt, dass die Plakataktion funktioniert hat. Wir haben den Stein der Weisen auch nicht gefunden – schön wär´s. Es braucht immer einen Mix an verschiedenen Kanälen und Arten der Kandidatenansprache, um die Zielgruppe zu erreichen. Es fängt wie gesagt bei der engen Zusammenarbeit mit den Fachkolleg*innen an, um herauszufinden, wo der Schuh drückt, und um ein Verständnis zu entwickeln, was in der eigenen Company gut oder nicht gut funktioniert und welche Aufgaben sie gerne bei uns machen. Daher binden wir die Fachbereiche auch zeitig in den Bewerbungsprozess ein.
Wir nutzen zum Beispiel unter anderem auch Printanzeigen in Fachzeitschriften und setzen Performance Recruiting auf Social Media ein. Letzteres hat super funktioniert, weil man die Zielgruppe genau targetieren kann. Direktansprachen über Xing und Co. gehört genauso so zu unserem Mix wie Netzwerken und Empfehlungen. Man muss einfach vieles ausprobieren.
Michael: Das heißt, ihr bespielt im Recruiting-Mix eigentlich fast alles.
Alexander: Ja, wir versuchen es. Es gibt nicht die eine Maßnahme, die immer funktioniert. Dafür ändern sich die Zeiten einfach zu schnell.
Michael: Richtig, das Ausprobieren verschiedener Maßnahmen ist unerlässlich im Recruiting. Man kann vorher nie wissen, was im eigenen Markt bei den verschiedenen Zielgruppen gut ankommt. Und du wirst sicherlich auch Aktionen gemacht haben, die nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben.
Alexander: Ja, klar. Das gehört dazu. Und auch wenn man teilweise in Klischees denkt, treffen die nie auf alle zu. Wir suchen nicht nur den einen männlichen E-Sport-Spielenden PHP-Entwickler. Dafür sind die Interessensfelder zu vielschichtig und individuell.
Michael: Zieht ihr dafür eigene Untersuchungen oder Erfahrungswerte heran?
Alexander: Wir analysieren, über welche Kanäle die Bewerbungen bei uns eingehen, um dann Schlüsse zu ziehen, ob mehr Active Sourcing sinnvoll ist oder ob wir eine Stellenbörse nicht mehr bespielen etc. Ganz in Richtung Data Driven Recruiting sind wir noch nicht unterwegs, aber man liest sich auch vieles an und probiert Neues aus.
Michael: Hast du seit Corona eine Veränderung bei der Ansprache eurer Kandidat*innen gemerkt? Ist Recruiting für euch schwerer geworden oder wie erlebst du das?
Alexander: Ehrlich gesagt habe ich es nicht so wahrgenommen, dass die Wechselbereitschaft enorm gestiegen ist und uns die Leute die Bude einrennen oder alle nur noch remote von Mallorca aus arbeiten wollen. So einen krassen Unterschied zwischen Corona- und Nicht-Corona-Zeiten sehe ich bei uns nicht.
Was ich gemerkt habe, ist ein verstärkter Wunsch nach Sicherheit bezüglich Branche und Unternehmen. Und, dass sich die Menschen umschauen, bei welchem Arbeitgeber sie ihre gewünschte Flexibilität bekommen. Mittlerweile kann man theoretisch von überall aus seinen Job machen. Dadurch verschiebt sich der Maßstab an Gehalt oder Benefits. Der ist dann halt nicht mehr an die Region angepasst, sondern immer Berlin und München – oder noch größer.
Michael: Stichwort Konkurrenz: Das ist etwas, was euch offensichtlich geglückt ist. Denn auch bei euren Standorten in Leipzig oder Süddeutschland seid ihr nicht die einzigen Arbeitgeber. Ist es auch hier der passende Mix aus Benefits, Gehalt, Flexibilität und Sinnhaftigkeit, um Talente für euch zu gewinnen? Oder warum setzt ihr euch durch?
Alexander: Ich glaube, die Geschwindigkeit in unseren Recruiting-Prozessen ist ein wichtiger Punkt. Gerade in der heutigen Zeit. Denn alle Entwickler*innen kennen das – die Inbox ist immer voll. Daher braucht man als Unternehmen eine gute Ansprache und einen schnellen Prozess. Der Recruiting Circle baut bei uns auf Wertschätzung, regelmäßige Rückmeldungen, fixe Terminvereinbarungen etc. Bei allem danach spielt natürlich ein marktübliches Gehalt eine wesentliche Rolle – da kommt man nicht herum. Also nur mit Purpose ist es nicht getan. :D
Bei uns kommt sicherlich noch das rasante Wachstum hinzu, was mit innovativen Prozessen und Aufgaben einhergeht. Hier können Kandidat*innen ihren Zielen – etwas bewegen zu wollen – eher nachkommen und sehen mehr Chancen als in Firmen mit festgefahrenen Strukturen.
Und wir bekommen gut rübergebracht, was wir für ein cooles Team sind! Also am Anfang ist Recruiting wie ein Verkaufsprozess und hier zeigt das Team sehr gut, was uns antreibt und warum es Spaß macht, bei uns zu arbeiten.
Michael: Du hast vorhin gesagt, dass die Zusammenarbeit mit dem Fachbereich im Recruiting sehr wichtig ist. Wir bekommen von unseren User*innen, die whyapply nutzen, oft die Rückmeldung, dass sie „lieber direkt“ mit den Fachkolleg*innen sprechen wollen. Ist das bei euch auch so?
Alexander: Unsere Recruiter*innen sind keine Entwickler*innen. Aber sie sind ziemlich tief in den fachlichen Themen drin und auf die Jobs, die sie betreuen, spezialisiert. Es ist also ein grundlegendes Verständnis da, sodass wir kein Buzzword-Bingo betreiben. Dadurch haben wir das in unserem ersten Kennlerngespräch mit den Kandidat*innen so noch nicht zurückgemeldet bekommen. Hier geht es erstmal darum, zu schauen, ob die Chemie passt. Im zweiten Interview ist dann immer der Fachbereich mit dabei.
Michael: Und merkt ihr einen Wandel bei den Bedürfnissen der Tech-Talente? Wünschen die sich jetzt etwas anderes als vor der Pandemie?
Alexander: Was definitiv mehr geworden ist, ist das Thema Flexibilität. Früher kamen auch Fragen nach Homeoffice-Möglichkeiten oder Remote Work. Aber aus heutiger Sicht war das ein Thema, was eh gerade im Trend war. Bei uns haben wir das auch dann miteinander diskutiert, aber es war eher immer so ein „Nice-to-Have“.
Und heute gibt es defacto niemanden mehr, der unterschreiben würde, dass er fünf Tage ins Büro kommt. Es geht ja nicht pauschal darum, „keine anderen Menschen mehr zu sehen“ und zuhause zu sitzen. Sondern bei sinnvollen Gründen ins Büro zu gehen, wie zum Austausch mit Kolleg*innen, für Kundentermine oder um fokussierter Arbeiten zu können, weil das in den eigenen vier Wänden nicht immer möglich ist usw.

Wichtig ist vor allem auch das Thema der Wertschätzung. Gerade, wenn man dann „irgendwo“ sitzt, entsteht schnell das Gefühl, austauschbar zu sein. Remote Führen ist auch für Führungskräfte nicht einfach. Das muss man lernen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Möglichkeit, sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln. In dem Zusammenhang fragen Kandidat*innen auch häufiger danach, wie es weitergeht – also welche Perspektiven gibt es.
Michael: Ihr investiert massiv in den Ausbau von powercloud. Gleichzeitig liest man von den „HR-Horrormeldungen“ wie Austritt der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt. Es wird also tendenziell schwieriger, Bewerber*innen zu finden. Wo siehst du die größte Herausforderung im Recruiting von Tech-Talenten in den nächsten Jahren?
Alexander: Du sagst es. Wir als powercloud haben hierfür eine gute Basis, denn es steht fest, dass wir internationalisieren werden. Unsere Unternehmenssprache ist Englisch, weshalb wir nicht mehr nur in Deutschland suchen müssen. Und wir werden nicht davon zurücktreten können, dass die Teams verteilt sind und damit automatisch remote arbeiten. Und das gibt einem auf der anderen Seite die Freiheit, zu sagen, dass es egal ist, wo die Leute sitzen.
Zusätzlich bringt auch die Weiterentwicklung der Technologie Neues mit sich. AI wird künftig vielleicht mehr Coding-Arbeit übernehmen und dann braucht man eher Leute, die Prozesse optimieren.
Michael: Also sind Entwickler*innen auch von der Digitalisierung betroffen? :D
Alexander: So weit würde ich nicht gehen, aber deren Aufgabenfelder werden sich ebenfalls anpassen. Entsprechend wird sich das wiederum auf das Recruiting auswirken. Man muss offener werden und schauen, wie man als Arbeitgeber noch attraktiver werden kann.
Michael: Es wird also spannend, wie sich das Tech Recruiting in der Zukunft entwickeln wird. Ich drück euch die Daumen, dass es so funktioniert, wie ihr es geplant hab.
Vielen Dank Alexander für deine Zeit und deine Insights!
Alexander: Ich danke euch auch, bye bye! 😊
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