Employer Branding im Gesundheitswesen ist eine wahre Herkulesaufgabe. Die meisten scheuen sich davor, aber nicht Martin Camphausen. Er stellt sich dieser Herausforderung und klärt auf, was Employer Branding wirklich heißt und warum viele Unternehmen – nicht nur aus der Gesundheitsbranche – hier noch Nachholbedarf haben.
Hallo Martin, ich freue mich, dass eines unserer ersten Experteninterviews gerade mit dir startet und du dir hierfür Zeit genommen hast. Wer dich kennt, wird vermutlich schon erahnen, welches unser heutiges Thema sein wird. Es geht natürlich, um dein Steckenpferd – Employer Branding im Gesundheitswesen.
Kannst du dich bitte, für diejenigen, die dich noch nicht so gut kennen, einmal kurz vorstellen und erklären, wie du eigentlich zum Employer Branding gekommen bist?
Martin: Ich bin wie durch eine glückliche Fügung zum Employer Branding gekommen. Ursprünglich habe ich Politikwissenschaft, Germanistik und Philosophie studiert und in der Politik meine Karriere angefangen. Danach bin ich als Kommunikator ins Krankenhaus gegangen und anschließend habe ich als Director Healthcare und Standortleiter eine bekannte B2B-Kommunikationsagentur mit geleitet. Nun bin ich wieder im Krankenhaus.
In meinem ersten Klinik-Job bin ich zwar als Kommunikator eingestellt worden, aber wenige Wochen später wurde die Position der Personalchefin frei und meine damalige Chefin kam auf mich zu und meinte: „Sie kommen doch gerade aus der Bewerbungsphase. Können sie sich vorstellen zusätzlich unser Employer Branding und Recruiting zu übernehmen?“. Ich sagte: „Habe ich eine Wahl?“ und sie antwortete: „Eigentlich nicht“. „Gut, dann mache ich das wohl“, entgegnete ich ihr. Was nur interimsweise geplant war, wurde zu meiner großen thematischen Liebe und wir sprechen und lachen heute noch über das Gespräch. Das waren die Frankfurter Rotkreuz-Kliniken, die gerade erst angefangen hatten, Workshops für einen astreinen Employer-Branding-Prozess aufzusetzen. Ich freue mich bis heute sehr, dass ich praktisch von der ersten Sekunde dabei war. Und der Spirit damals war großartig, das fixt mich bis heute an.
Das war ja wie ein Sprung ins kalte Wasser. Was sind die größten Herausforderungen deines Arbeitsalltages? Welche Besonderheiten gibt es in der Gesundheitsbranche?
Martin: Employer Branding wird im Gesundheitswesen immer häufiger thematisiert, aber selten steckt das drin, was draufsteht. Stellenanzeigen-Updates sind beispielsweise kein Arbeitgebermarkenaufbau, sie sind höchstens ein Instrument zur Vermittlung dessen, wofür man als Arbeitgeber stehen will.
In meiner Branche werden Employer Branding,Personalmarketingund Recruiting in einen Topf geworfen und nicht abgegrenzt. Sie sind zwar miteinander verknüpft, aber nicht dasselbe. In der Dreiteilung ist Employer Branding die übergeordnete Ebene: Was soll in den Köpfen aufpoppen, wenn mein Arbeitgebername fällt. Personalmarketing als mittlere Ebene steht beispielsweise für zielgruppenspezifische Kampagnen und Maßnahmen. Das Recruiting wiederum ist der „Kampf an der Front“ mit Bewerbermanagement und allem Drum und Dran. Zusammengenommen ergänzen sich die drei Ebenen also bei der Mitarbeiterbindung mit -findung.
Im Gesundheitswesen steht vor allem der enorme Recruiting-Schmerz im Vordergrund. Häufig erfährt das Recruiting zu spät von bald freiwerdenden Stellen und alles soll hopplahopp gehen. Bei Vakanzzeiten zwischen 4 und 8 Monaten geht das aber nicht. Hinter sehr vielen Jobprofilen – ich schätze mal 50-60% stehen passive Märkte, in denen sich Kandidat*innen entspannt zurücklehnen können, weil es wenige von ihnen gibt und sich die Arbeitgeber um sie bemühen müssen. Und im Krankenhaus ist die Diversität in jeder Hinsicht enorm. Das macht es grundsätzlich genauso großartig wie mühsam in Bezug auf Employer Branding. Für den Aufbau einer Arbeitgebermarke nehmen die meisten Arbeitgeber der Branche außerdem kein Geld oder zu wenig Geld in die Hand – oder sich einfach nicht die Zeit. Das ist ein Fehler.
Kurzum:
Employer Branding ist ein Marathon. Es heißt bewusst Arbeitgebermarke – und Markenbildung geht immer nur auf eine längere Distanz. Einige wollen sich jedoch lieber die Sprint-Schuhe anziehen und schnelle Ergebnisse (Arbeitskräfte) sehen. Aber so einfach ist das eben nicht.

Für Employer Branding braucht man demzufolge einen langen Atem.
Setzt du, um die Herausforderungen zu lösen, auf externe Dienstleitungen oder bist du eher der DIY-Typ?
Martin: Sowohl als auch. Ein Beispiel, warum externe Unterstützung beim Aufbau einer Employer Brand wichtig ist: Zunächst muss man erstmal den Ist-Stand analysieren. Den findet man mit qualitativen Interviews, Mitarbeiterbefragungen oder Workshops heraus und befragt interdisziplinäre Berufsgruppen. Es gibt auch andere Methoden, aber in Krankenhäusern funktionieren die am besten. Fragt die direkte Führungskraft oder sogar der Geschäftsführer, was die Schmerz- und Knackpunkte des Arbeitgebers sind, wird kaum jemand ehrlich antworten. Deshalb muss man aus meiner Sicht auf externe Dienstleister zurückgreifen.
Und noch ein Beispiel aus dem Recruiting: Vor allem für Ärzte ist der Wunsch nach teuren Print-Anzeigen auch heute nicht selten. Die kosten gerne mal 6.000-8.000 Euro und bringen null Outcome außer interne Befriedung. Auch normale Online-Stellenanzeigen funktionieren im Gesundheitswesen immer weniger, weil der Anteil an Kandidat*innen, die sich passiv verhalten können, immer größer wird. Daher gehen wir den aktiven Weg über Performance Marketing, was aber hoch technisch und nerdig ist. Das Tool gibt es in der Qualität nur über einen Dienstleister.
Es gibt aber natürlich gewisse Sachen, die ich lieber selber mache – solange ich nicht an meine Grenzen stoße. Grundsätzlich verstehe ich Dinge gerne erstmal selbst, bevor ich entscheide, ob ich sie abgebe. Und natürlich können wir bei einem begrenzten Budget auch nicht alles abgeben. Wo blieben da auch der Spaß und die Herausforderung für uns selbst. Aber die HR-Welt ist schnelllebig und wir können mit einem kleinen Team nicht alles selbst lösen. Daher ist es gut, wenn es Agenturen, Dienstleister und Plattformen gibt, die das können. Das Texten gebe ich aber mehr als ungern aus der Hand.
Wenn du die Fähigkeit hättest, zehn Jahre in die Zukunft blicken, was glaubst du, wie Employer Branding dann aussehen würde?
Martin: Die Schmerzpunkte im Gesundheitswesen sind so deutlich spürbar geworden, dass selbst die größten Ignoranten des Themas angefangen haben, in echtes Employer Branding zu investieren. Sie warten nicht mehr ab, bis sie Stellen ausschreiben müssen, sondern sehen, dass es sich lohnt, als Arbeitgeber wie ein Magnet zu wirken und anzuziehen. So bekommen sie mehr Initiativbewerbungen und rennen den Besetzungen und dem Markt nicht immer hinterher – und zwar bei Pflegekräften genauso wenig wie bei Reinigungs- oder Verwaltungsmitarbeitern. Dafür haben Krankenhäuser ihre Alleinstellungsmerkmale und Differenziatoren gefunden und echte EVPs herausgearbeitet. Dabei haben sie Mut bewiesen und setzen auf Ecken und Kanten statt weichgespülter Phrasen und scheinbare Fehlfreiheit und Perfektion. Wobei: Mist, jetzt habe ich doch eher das Wunschkonstrukt für in zehn Jahren beschrieben…
Gar kein Problem – man darf ja träumen 😉. Apropos wünschen, jetzt kommt meine Lieblingsfrage:
Stell dir vor, du hättest alle Ressourcen zur Verfügung, die du dir wünschen würdest. Was würdest du damit gern an deiner Arbeit oder an deinem Unternehmen bewirken wollen?
Martin: Der Gesellschaft zu vermitteln, was allgemein in der Gesundheitsbranche geleistet wird. Das Gesundheitswesen ist volkswirtschaftlich gesehen seit 20 Jahren einer der Wachstumstreiber in Deutschland. Die Anerkennung dafür fehlt aber in der Bevölkerung fast komplett, wie wir unter Corona mehr als deutlich sehen. Das ist eigentlich eine Frechheit. Die „Marke Gesundheitswesen“ bräuchte in Deutschland viel mehr Akzeptanz. Man kümmert sich immer nur dann, wenn alles zu spät ist. Nach dem wochenlangen Klatschen auf den Balkonen in der ersten Corona-Welle kam nichts als Frustration. Man hat der Pflege 1.500 Euro Netto versprochen – voll bekommen hat das aber nur die Altenpflege. Die Krankenpflege musste lange diskutieren und am Ende gab es nur für vereinzelte Mitarbeiter*innen wenige hundert Euro in etwa jedem vierten Krankenhaus – eine Farce. Mit einem Zauberstab in der Hand würde ich mir aber auch wünschen, dass zwischen den drei großen Berufsgruppenblöcken Ärzte-Pflege-Verwaltung mehr Anerkennung und Wertschätzung wäre.
Gibt es Dinge, die du seitdem im Employer Branding angepasst hast?
Martin: Ich habe Ende 2019 im Klinikverbund angefangen. Kurz darauf kam Corona, sodass wir aus strategischen und operativen Gründen den Fokus auf andere Dinge gelegt haben. Wir holen den Aufbau der Employer Brand nach, sobald sich die Pandemie beruhigt. Momentan haben unsere Mitarbeiter*innen am Patienten andere Sorgen. Wenn wir eine Arbeitgebermarke hätten, würden wir jetzt unsere Botschaften überprüfen: Passen sie in die Zeit, passen sie zur Marktsituation? Zwei Dinge waren schon vor Corona wichtig, sind jetzt aber umso wichtiger:
- Wie wollen Arbeitgeber wahrgenommen werden?
- Wie glaubwürdig ist diese Wahrnehmung bei den Zielgruppen?
Zu viele Botschaften und Bildsprachen sind glattgebügelt oder austauschbar – das gilt im Übrigen branchenübergreifend. Im Gesundheitswesen sind zudem Farbwelten, Claims und dergleichen fast identisch. Und zu viel wird in Perfektion dargestellt. Dabei wissen alle potenziellen Mitarbeiter*innen, dass es im Berufsalltag keine Perfektion gibt.
An diesen Punkten sollten Unternehmen auf jeden Fall arbeiten!
Ist dir in der letzten Zeit eine Veränderung bei den Kandidat*innen aufgefallen, die dich besonders überrascht hat?
Martin: Wir sind sehr stark mit unserer Region verknüpft, die vom Speckgürtel von Stuttgart bis in den Schwarzwald reicht. Das bringt verschiedene Ansprüche für das Recruiting mit. Im Frühling 2020, als wir die erste Coronawelle erwartet haben, sind über 600 Menschen unserem Ruf nach freiwilliger Unterstützung gefolgt. Mich hat nicht überrascht, dass Menschen helfen wollten, sondern dass es so viele in so kurzer Zeit waren. Ob pensionierte Ärzt*innen, Studierende, Pflege- oder Reinigungskräfte, für alle Berufsgruppen hätten wir Unterstützung gehabt. Das hat uns extrem positiv überrascht.

So viel Engagement ist unglaublich. Kommen wir nun zu einem ganz anderen Thema:
Hand aufs Herz, wie stehst du zu der Employer Branding-Kampagne #Ehrenpflegas?
Martin: Die Regierung hat uns damit ins Knie geschossen. Das Agentur- und Mediabudget war enorm und die Politik hat lang versucht, das Ganze zu retten. Grundsätzlich ist das Format einer YouTube-Serie und wie das stilistisch umgesetzt wurde modern, aber es bildet einfach nicht die Realität ab und wurde in meinen Augen von der Branche zu Recht als Frechheit aufgefasst. Mit dieser Kampagne ist das absolute Gegenteil von „Employer Branding für die Pflege“ passiert, denn eine Arbeitgebermarke steht für Echtheit und Natürlichkeit. Die Ehrenpflegas versuchen aber leider nur eine Realität abzubilden und persiflieren, von der sie glauben, dass sie stimmt. Professionelle Pflege ist etwas sehr Ehrbares, dem diese Serie absolut nicht gerecht wird.
Heißt, die Grundidee war okay, aber gerade die verfälschte Darstellung der Zielgruppe ist ein No-Go – vor allem in dieser sensiblen Phase.
Gut, kommen wir doch wieder zu einem schöneren Thema.
Du bist viel auf Veranstaltungen als Speaker in der HR-Szene unterwegs. Was ist deine Mission? Was möchtest du dem Publikum mitgeben?
Martin: Meine Mission ist: Kommunikation, Marketing und Employer Branding im Krankenhaus professionalisieren. Ich trete ja nicht nur als Speaker auf, sondern veröffentliche auch viel. Das Ziel ist: Fundierte Einblicke auf theoretischer und praktischer Ebene, denn beides bringe ich mit.

Quelle: Fotografin Kerstin Müller
Deine Motivation das Thema Employer Branding im Gesundheitswesen noch weiter voranzubringen, scheint unerschöpflich zu sein.
Was erwartet uns denn in deinem neuen, gleichnamigen Buch dazu?
Martin: Das Buch ist das erste seiner Art. Zu diesem Thema gibt es insgesamt noch nicht wirklich viel Literatur. Und wenn, ist sie meist sehr theoretisch, viel zu kleinteilig oder schlichtweg trivial. Mein Buch ist Teil der eben beschriebenen Mission, ich habe es in drei Teile gegliedert.
- Im ersten Teil geht es um eine theoretische Einteilung: was ist Employer Branding, was ist es nicht. Und wie ist der Stellenwert des Gesundheitswesens in Deutschland.
- Im zweiten Teil berichten viele bekannte HR-Blogger*innen und Berater*innen über ihre Erfahrungen aus der Praxis. So decken wir verschiedene Facetten ab.
- Im dritten Teil stehen unterschiedliche Cases namhafter Unternehmen im Fokus, die zeigen, was sie unter dem Thema verstehen und wie sie es konkret umsetzen.

Da lohnt es sich auf jeden Fall mal rein zu stöbern 😉.
Hast du zum Abschluss drei Tipps für unsere Community?
Martin: Ja, wenn ihr Employer Branding machen wollt, dann…
- Denkt an das ganze Team: Vergesst nie, dass ihr Employer Branding genauso für eure aktuellen Mitarbeiter*innen macht. Denn für sie sucht ihr Kandidat*innen damit sie auch weiterhin ein Team haben.
- Seid mutig und entschlossen: Überzeugt eure*n CEO davon, dass nur Mut der eigenen Marke einen unbezahlbaren Wert gibt. Ansonsten lasst es lieber gleich ganz bleiben.
- Seid anders und auf den Punkt: Arbeitet das Differenzierungspotenzial heraus, seid prägnant und versucht nicht Angst vor der eigenen Courage zu haben.
Es geht nicht darum viele anzuziehen, sondern die passenden Talente zu erreichen. Im Zweifelsfall spricht man dadurch eine wesentlich geringere Zielgruppe an, aber darauf gilt es hinzuarbeiten. Die meisten denken immer noch, dass mehr Bewerbungen besser sind. Doch das Gegenteil ist der Fall. Sinn und Zweck ist es, die passenderen Arbeitskräfte auf Qualifizierungs- und Cultural-Fit-Ebene anzusprechen. Das schafft man nur, wenn man das Differenzierungspotenzial optimal ausschöpft. Ja, manchmal muss man dann auch Abstriche machen und das ist vor allem dem CEO oder dem Personalchef schwierig beizubringen. Aber im Endeffekt ist genau das der Kern und zugleich Herausforderung im Employer Branding.
Vielen lieben Dank für deine ehrlichen Worte und spannenden Einblicke zum Thema Employer Branding im Gesundheitswesen.
Über unseren Interviewpartner:

Martin Camphausen ist Leiter Corporate & Employer Branding des Klinikverbundes Südwest. Zuvor war er Mitglied der Geschäftsführung und Director Healthcare der Kommunikationsagentur JP│KOM, für die er Kunden aus den
Bereichen MedTech, Pharma und Krankenhäuser betreute. Vor seinem Wechsel auf Agenturseite war er Leiter Unternehmenskommunikation der Frankfurter Rotkreuz-Kliniken. Neben dem Kommunikationsmanagement verantwortete er dort das mehrfach mit Awards ausgezeichnete Employer Branding sowie das Personalmarketing. Seine Laufbahn startete als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Pressereferent von Ministern und Abgeordneten.